Die Vermessung der Liebe. Es lohnt sich, die Liebe zueinander auf den Prüfstand zu stellen.
Die neuesten Erkenntnisse aus dem berühmten Love Lab von John Gottman liegen bei Klett-Cotta in der Übersetzung von Cathrine Hornung in dem Band Die Vermessung der Liebe. Vertrauen und Betrug in Partnerbeziehungen vor. Es geht um Kommunikation, Vertrauen, Abstimmung, Sex, um alles was eine Paardynamik, deren Grundlagen Gottman hier vorstellen will, ausmacht.
Das Kernproblem ist immer wieder mangelnde Kommunikation, ja unzureichender Respekt voreinander, was manche Situationen so schnell und heftig eskalieren lässt. Ist das Vertrauen angekratzt, ist der Stress in der Beziehung vorprogrammiert, schnell werden alte Sünden aufgerechnet. Das Vertrauen wird dann zusätzlich zerstört. Hinzu kommen die neuen Kommunikationsformen, die in sich alle Chancen missglückter Kommunikation bergen: „Mit unseren E-Mails, Smartphones und den zahlreichen Verpflichtungen, denen wir nachkommen und müssen, leben wir permanent am Rande einer katastrophalen Stressreaktion.“ (S 15 f.) Man kann mit 140 Zeichen einen Streit nie beilegen, aber ihn gefährlich anheizen. Das haben wir 2014 geschrieben und würden es jetzt beinahe als einzigen Satz hier so stehenlassen. Kommunizieren im Whats-up-Format ist Gift für jede Beziehung, aber auch für jede soziale Kommunikation > Lesebericht: McLuhan, Fiore, Das Medium ist die Massage, die in den sozialen Netzwerken den Regeln der Anbieter folgen muss
In seinem Forschungslabor hat Gottmann Paare beobachtet und kann seine Überlegungen auf die Biographie von 3000 untersuchten Paaren stützen. Als schleichendes Gift bezeichnet er die Untreue jeder Art. Nicht der Seitensprung sondern jede Art von Treulosigkeit versteht Gottman als „heimliche“ Beziehungskiller. (S. 14) Untreue in jeder Form setzt Gottman das Vertrauen entgegen, das dessen Niveau die Partner selber bestimmen können (Kapitel 1). Das 2. Kapitel stellt die Situationen vor, die eine gute Paarbeziehung beeinträchtigen. Es gibt eine Mausefalle auch für Liebende (S. 54), eine Art feindliche Zone, die Gottman mit der Summe aller körperlichen Reaktionen definiert, die bei
Stress mit dem Partner entstehen: Flooding nennt er diese Form des Streits. Empathie, so Gottman, ist der völlig falsche Rat in dieser Situation, weil bereits eine Art Mauern eingesetzt hat, die jeden Versuch einer Reparaturmaßnahme zum Scheitern verurteilt. Aufgrund seiner Beobachtungen beschreibt Gottman eine Abfolge von mehreren Schritten, die zu dieser Mausefalle führen, (S. 58-66) deren Kennzeichen Kritik, Verachtung, Rechtfertigung und Mauern sind = die vier apokalyptischen Reiter. (S. 66-69)
Außer Ehebruch nennt Gottmann „Zehn weitere Arten, den Partner zu betrügen“ (S. 103 ff): U. a. Mangelndes Commitment, nichtsexuelle Affären, Lügen wie auch den Entzug von sexuellem Interesse, die das Ehebett in eine „nicht-anfassen-Zone“ verwandelt, Selbstsucht, Versprechen nicht einhalten, etc.
Ihnen stellt er in den folgenden Kapiteln Strategien entgegen, wie Partner Vertrauen und Abstimmung neu aufbauen können. Dabei verbirgt er nicht sein Erstauen darüber, wie wenig Partner oft nicht in der Lage sind; Emotionen oder Gefühle mitzuteilen: S. 138-156 sind eine Hilfe, diese Hürden der fehlenden Worte zu überwinden. S. 157-197: Das Gottmann-Rapoport-Modell soll für eine konstruktive Konfliktlösung dienen, bei der die richtige Dosierung von Sprechen und Zuhören im Mittelpunkt steht. Extra anberaumte Gespräche zur Lage der Nation sollten dem Paar die Möglichkeit geben, Kränkungen und verletzte Gefühle zu reparieren. Dafür stellt Gottman einen Werkzeugkasten – S. 198-205 – bereit. Keine Frage, das Buch richtet sich auch an Paare, deren Beziehung ok ist.
Wenn im ersten Teil dieses Buches das Vertrauen oder die Strategien zu seiner Wiederherstellung im Vordergrund stehen, ist der zweite Teil eindeutig dem Sex, Liebe und Leidenschaft in der Beziehung gewidmet. Wieder bietet Gottman einen Test an (S. 260 ff.), der dem Paar als Gesprächsanregung über dieses Themen dienen soll: S. 266-281. Siehe auch Anhang I: Formulierungsvorschläge für das intime Gespräch.
Die Vielfalt der Strategien, die Gottman beschriebt, wie Paare verlorenes Vertrauen wiederzurückgewinnen können ist beeindruckend. Man erkennt dabei leicht seine Überzeugung, dass viele bis in ihren Kern beschädigte Beziehungen neu belebt werden können. Ein „Verfallsdatum“ für Beziehungen (S. 284) hält er für paradox. Allerdings gibt es Situationen, in denen eine Beziehung keine Zukunft mehr hat: Kapitel 12. In solchen Situationen versucht Gottman die Partner an ihre Liebesgeschichte, -biographie zu erinnern. Die Art und Weise, wie die Paare sich diesen Erinnerungsinterviews stellen, vermittelt dem Therapeuten Aufschlüsse darüber, was zu retten ist.
Auch der Titel deutet an, dass Gottman Beziehungsprobleme mit Messwerten analysiert. Man muss aber ein „zunächst“ hinzufügen. Die Analysen Love Lab sind keine Grundlage für die Steuerung einer therapeutischen Behandlung, sondern sie dienen erst einmal dazu, die Probleme zu identifizieren und dann die richtigen Fragen zu stellen. Das Interview zu Sex und Liebe (S, 260 ff) folgt diesem Muster. Es ist in erster Linie ein Inventar aller Themen, über die as Paar miteinander sprechen sollten. Das Ergebnis des Tests ist ihnen ohnehin schon vor dem Ausfüllen bekannt und bewusst.
John Gottman, Nan Silver
Die Vermessung der Liebe
2. Aufl. 2014, 381 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, aus dem Amerikanischen von Cathrine Hornung (Orig.: What Makes Love Last; How to Build Trust and Avoid Betrayal)
ISBN: 978-3-608-94810-3