Immer wieder lesen wir über Nordkorea in der Presse, sehen und hören darüber im Fernsehen. Aber so recht Genaues weiß man nicht über das so perfekt und am besten abgeschotteteste Land der Welt zwischen China, Russland und Südkorea. Ist das Land eine Bedrohung für den Weltfrieden? Und doch sucht es den Kontakt auf der großen diplomatischen Bühne – in der Hinterhand seine Atomwaffen. Kim Jong-un, Vorsitzender, Oberster Führer und Diktator hat es geschafft, dreimal den amerikanischen Präsidenten Donald Trump zu treffen, der sich wahrscheinlich jedesmal auf einen phantastischen Megadeal gefreut hat und nach vorzeitiger Abreise vielleicht auch gemerkt hat, dass Kim Jong-un sich über die Treffen ebenso gefreut hat, weil sie ganz essentiell zu seiner Herrschaftssicherung beitragen und er kaum die Wünsche des US-Präsidenten erfüllen möchte.
Die Dynastie der Kims steht unangefochten an der Staatsspitze Nordkoreas, wie die gelungene Machtübernahme Kim Jog-uns nach dem Tod seines Vaters Kim Jong-il 2011, dies unter Beweis gestellt hat. Reformen hat es seitdem nicht gegeben. Nach wie vor ist Nordkorea ein „Schwarzes Loch“ (S. 13), das den Besucher einsaugt und erst beim Verlassen des Landes wieder freigibt. Kein cm ohne eine Reisebegleiter, zuweilen auch zwei, die gegenseitig auf sich und auf den Gast aufpassen. Alles ist anders in dem Land, man kann reisen aber ohne den bei uns gewohnten Komfort des Internets. Aber auch die wenigen Informationen, die der Reisende erhält sind spärlich
Martin Benninghoff, nach Stationen beim Kölner Stadt-Anzeiger und der Financial Times Deutschland ist Redakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und durch viele Reisen und Berichte mit Nordkorea – soweit man das überhaupt erreichen kann – bestens vertraut. Sein gerade erschienenes Buch > Der Spieler „Wie Kim Jong-un die Welt in Atem hält“ ist eine vorzügliche und lesenswerte Unterstützung, die Nachrichten aus und über Nordkorea künftig besser einordnen zu können.
Das Fotoalbum der Lesung und des Vortrags im Stuttgarter Hospitalhof am 1.1ü.2019:
Die Herkunft und den Einfluss der Kim-Dynastie werden in den den ersten beiden Kapiteln erläutert. Die Überschrift „Virtuose der Macht“ trifft den Erfolg Kim Jong-uns, der sich erstaunlich schnell in seine Rolle als unumschränkter und verehrter Diktator hineingefunden hat und auf der ganzen Klaviatur seine Machtapparates einschließlich der medialen Inszenierung erfolgreich zu spielen gelernt hat. Mögliche Gegner wurden kompromisslos entfernt: so sein Onkel Jan Song-thaek, der 2013 hingerichtet wurde. (vgl. S. 81) Und der Bruder des Diktators Kim Jong-nam, kam 2017 bei einem Giftattentat ums Leben.
Inwieweit die Schweizer Schulzeit Kim Jong-uns ihm das Bewusstsein für Demokratie, westliche Werte und Fortschritt vermittelt hat, ist wegen fehlender Informationen nicht einzuschätzen. Aktuell spricht viel dafür, dass daraus kaum Hinweise auf mögliche Reformen des Regimes ableitbar sind. Dabei ist ein Wandel des Landes durchaus erkennbar, aber wie es scheint, folgt man Benninghoff, ist es eher ein Wandel, der behutsam die Diktatur anpasst, sie perfektioniert und ohne Konzessionen die Abspaltung des Landes aufrechterhält.
Wenn Journalisten ins Land reisen, verstehen sie schnell, was sie unter den Augen ihrer Aufpasser sehen dürfen und was nicht. Es gibt auch Themen, wie die Straflager mit ihren ca. 70-120.000 Häftlingen, die zu den absoluten Tabuthemen gehören, auf die man die Begleiter gar nicht erst anzusprechen braucht.
Das Kapitel „Wie die Menschen leben“ (S. 127-209) enthält eine Abhandlung über die Herrschaftstechnik des Regimes mit der „Unfehlbarkeit und Allwissenheit des Führers“ (S. 129) Sehr lesenswert ist das Kapitel über die Ideologie der Kims (S. 130-159), in dem die Basis des Marxismus-Leninismus beschrieben, die mittlerweile durch chuch’e, eine Art Selbstständigkeit oder staatlicher Souveränität, ergänzt worden ist; ein Begriff dehnbar in alle Richtungen, der sich gut für immer neue Interpretationen eignet, ohne auch nur im Ansatz die Abschottung des Landes in Frage zu stellen.
Das Land hat „Strategien zum Überleben“ (S. 209-292): Nordkorea muss die Finanzierung einer ineffizienten Wirtschaft organisieren (S. 209) und dann für seine Sicherheit im internationalen Staatensystem sorgen, die in erster Linie durch seine Atomwaffen gewährleistet wird. Und weil in dieser Hinsicht Benninghoff KimJong-un für einen > Spieler hält, der nur das Überleben seiner Diktatur im Sinne hat, Verhandlungspartner täuscht (vgl. S. 210), illegale Geldquellen öffnet, darf man die Frage stellen, wie lange kann das gut gehen? Vielleicht nur so lange, wie andere Staaten ein Interesse an Nordkorea zugunsten ihrer eignen Ziele haben: China als größter Handelspartner hat ein Interesse an der Stabilität Nordkoreas, weil dadurch die Amerikaner von seiner eigenen Grenze ferngehalten werden.
„Zwei, die sich fremd sind“, behandelt die deutsch-(nord-)koreanischen Beziehungen, auch unter dem Aspekt wie die deutsche Wiedervereinigung vonstatten ging.
Bei der Lektüre von Benninghoffs Fazit darf man sich an das eingangs zitierte Motto von Egon Bahr „Wandel durch Annäherung“ erinnern. Wenn man verschlossene Türen öffnen und ins Gespräch kommen will, hat Donald Trump trotz der Misserfolge, einen Punkt markiert. Die Digitalisierung wird den Wandel auch in Nordkorea beeinflussen und vielleicht wird es chuch’e gelingen, sie in einen Faktor der Stabilisierung des Regimes umzumünzen. Der Autor meint, der Westen solle seine „Zuckerbrot-und-Peitsche-Politik“ (S. 345) überdenken und Kim Jong-un als reinen „rationalen Akteur“ (S. 343) begreifen, der dies in einem größeren Maße als Donald Trump sei, womit Benninghoff aber nicht in Abrede stellen will, dass der Kim Jong-un ein „brutaler Diktator“ sei. Kontakte mit den umgebenden Staaten, besonders mit Südkorea auch mit Trump, dienen dem eigenen Herrschaftsglanz, wenn er aber dann noch Investitionen für sein Land erhält, dann sind erste Schritte zu vertrauensbildenden Maßnahmen gemacht.
Martin Benninghoff
> Der Spieler
Wie Kim Jong-un die Welt in Atem hält
1. Aufl. 2019, 383 Seiten, Klappenbroschur, mit Abbildungen und 2 Karten
ISBN: 978-3-608-98179-7