Lesebericht: Paula Bleckmann, Medienmündig

Paula Bleckmann möchte in ihrem Buch > Medienmündig. Wie unsere Kinder selbstbestimmt mit dem Bildschirm umgehen lernen nicht wieder der schon immer viel beschworenen Medienkompetenz das Wort reden, sondern sie hat die Erziehung zur Freiheit und zur Autonomie im Blick. Sich und die Kinder nicht von den Medien vereinnahmen lassen, darum geht es in ihrem Buch, und dazu gehört mehr als nur Know-how für den Umgang mit den Medien. Ihre Botschaft ist eindeutig. „Zu früher Medienkonsum führt in die Abhängigkeit, nicht in die Mündigkeit.“ (Klappentext) – Fragen wir doch mal: Woran liegt es eigentlich, dass Schülerinnen und Schüler in erster Linie nur Konsumenten im Internet sind? Web 2.0 bedeutet für sie wie für alle anderen FBler sich nur auf ausgetretenen Pfaden zu bewegen ohne einen besonderen Erkenntnisgewinn. Also was läuft in der Medienpädagogik schief?

Eine moderne Medienerziehung darf keine „Maschinensklave[n]“ (S. 17) ausbilden. Ihr Buch ist eine Kritik an der aktuellen Medienpädagogik, die „die Anpassung des Menschen an die Medien“ (vgl. ebd.) vorsieht. Ihr Ansatz macht neugierig, denn sie legt ihr Buch genau zum richtigen Zeitpunkt vor, wenn auf der diesjährigen Didacta in Hannover die Digitalisierung des Unterrichts auf vielen Ständen gefordert und manchmal auch demonstriert wird. Man darf auch fragen, Medienkompetenz wofür? In einer Stadt kann man sich nur bewegen, wenn man ungefähr das Ziel kennt, zumindest aber neugierig, einen neuen Weg zu entdecken. Kinder, die im Internet etwas suchen sollen, sind heillos überfordert, und es wird für sie noch schwieriger, wenn sie mit den modernen Medien mehr machen sollen, als sich nur bunte Inhalte anzugucken.

Kinder brauchen Zeit, so wie der > Flaneur sich in seiner Bewegung vortastet und orientiert. Erst ein gewisses Orientierungswissen erlaubt dem Kind, mit den Medien etwas anfangen zu können. Man sieht nur, was man weiß, hat mir mal ein Architekt gesagt. Keine Lauflernhilfe, meint Bleckmann, und erwähnt die Auswüchse in den USA; die Neugeborenen so schnell wie möglich vor der ersten Flasche mit einem PC versorgen – mein Lieblingsgeschenk für Neuankömmlinge, war immer das achtseitige Stoffbuch.

Paula Bleckmann ist von Berufs wegen mit der Suchtprävention vertraut. Ihre Anmerkungen zu den Medien als Suchtauslöser sind ganz praktisch fundiert. Und sie meint, es gehe nicht um Abstinenz, sondern um den kontrollierten Konsum (S. 80). Ihr 4. Kapitel „Medienmündig – Schritt für Schritt“ enthält wichtige und sehr lesenswerte Abschnitte zu Rezeptions- und Produktionsfähigkeiten. Der PC soll ein Knecht werden und kein Meister, so darf man ihren Ansatz interpretieren. Systematisch entwickelt Bleckmann ihre Alternative zu einer unreflektierten Medienkompetenz. „Selektionsfähigkeit“ soll zu der Frage führen, „was macht der Mensch mit den Medien?“ (S. 105) statt die Medien den Menschen verbiegen zu lassen.

Bleckmann stützt ihre Ausführungen auf Umfragen, außerdem kennt sie die Basisarbeit und kann die Ergebnisse der von ihr zitierten Umfragen sachgemäß lesen und auswerten. Und sie nimmt auch das Problem der Kinder aus privilegierten Familien in den Blick und zeigt wie auch eine Medienpädagogik helfen kann „Bildungsklüfte“ zu erkennen und zu überwinden. Mir gefällt der gesunde Menschenverstand von P. Bleckmann: Abenteuer, Langeweile, Freud und Leid in der richtigen realen Welt lösen manches Medienproblem oder pädagogisch gesprochen, in der realen Welt erarbeitet man sich das nötige Orientierungswissen. Medien konsumieren kann jeder mehr oder weniger kompetent, aber etwas mit den Medien machen, sie sich Untertan machen, das ist eine Kunst. Von hundert Studenten, die ich danach fragte, wer schon mal in Wikipedia etwas geändert hat, wollte es nur einer gewesen sein. Schreiben die anderen nur ab? Oder konsumieren sie nur?

Im 2. Teil werden die Erwachsene aufgefordert zuzuhören. Hier können sie etwas lernen über die Wirkung von Medien in Kinderzimmern. Sie zitiert Nicholas Carrs Buch Die neue Seichtigkeit – was das Internet mit unserem Hirn macht – man kann sich denken, das das Internet dabei nicht gut wegkommt, wie z. B. Günther Anders in seinem Band Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, München 1956, 7. Aufl. 1987 die „Verbiederung“ der Welt so einleuchtend und zutreffend beschrieben hat: S. 99-128: „Massenkonsum findet heute solistisch statt“ (S. 101) titelte er und setzte gleich hinzu, ohne das Internet zu kennen: „Jeder Konsument ist ein unbezahlter Heimarbeiter für die Herstellung des Massenmenschen“ (ebd.) und zeichnete so den Facebookteilnehmer von heute. Alles schon mal dagewesen: „Da die Geräte uns das Sprechen abnehmen, verwandeln sie uns in Unmündige und Hörige,“ (S. 107) lautet die nächste Überschrift, gefolgt von „Die Ereignisse kommen zu uns, nicht wir zu ihnen.“ (S. 110) Aber es gibt doch Web 2.0 wird man wir antworten – aber doch nicht im Rahmen der Medienpädagogik? Mag sein, dass es noch Nachholbedarf gibt, und dass daraus noch etwas werden kann: z. B. > Fremdsprachenunterricht 2.0. Die Gretchenfrage wird aber immer so lauten: Lernt der Schüler mit dem digitalen Medienverbund, der ihm angeboten wird mehr? Welche Lehr- und Lern-Szenarien gibt es, die ihn anleiten, einen Blog zu schreiben, eine Website zu entwerfen, den richtigen Mix zwischen Twitter, Facebook und seinem Blog zu begründen? Konsumiert er? Oder lernt er im Internet zu schreiben?

Im dritten Teil vermittelt Bleckmann Tipps und Tricks für den Alltag. Es geht um Familien, wo der Bildschirm-Babysitter nie kommt, und wenn der Kasten schon mal da ist, kann man Regeln finden: „frühes Nichtfernsehen führt zu weniger Fernsehen.“ (S. 179), aber das stumme TV-Gucken fördert die Konsumhaltung vor dem PC, so darf man Bleckmann verstehen. Und am Schluss gibt es drei pfiffige Tests, mit deren Bestehen, sich die Kinder von nacheinander von derCD zum TV und dann weiter zum PC hangeln dürfen.

Der Drang zur totalen Digitalisierung der Schule berücksichtigt nicht, dass die Kinder sich vorher am besten selber einen Eindruck davon verschaffen sollen, was sie digitalisieren sollen. Ansonsten werden sie nur kompetent im bloßen Knöpfendrückchen, aber sie lernen nicht oder erst spät, selber Inhalte über ihre Erlebnisse anderen mitzuteilen.

Paula Bleckmann,
> Medienmündig. Wie unsere Kinder selbstbestimmt mit dem Bildschirm umgehen lernen
1. Aufl. 2012, 251 Seiten, Klappenbroschur
ISBN: 978-3-608-94626-0