„Ein aufregend-provokantes Plädoyer für die Unverzichtbarkeit der Macht!“ steht auf dem Umschlag. Bin gespannt! Rainer Hank, er leitet seit 2001 die Wirtschafts- und Finanzredaktion der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS), schreibt in seinem Plädoyer für die Macht: „Macht ist nie böse, solange es Wettbewerb gibt.“ (S. 149)
Fürchten wir uns nicht manchmal vor der Macht? Sagt man von jemandem, er sei ein Machtmensch, ist sein Image meistens schon verdorben, bevor er auftaucht. Und die Macht ist eine Droge. Ist jemand einmal in ihrem Dunstkreis, fühlt sie oder er sich unweigerlich von ihr wie von einem Magnet angezogen. Macht ist meistens auch nicht teilbar und die, die Macht besitzen, hocken auch auf ihr. Kaum ein/e Kanzler/in denkt so wirklich an seinen/ihren Nachfolger, sondern versucht, möglichst lange im Amt und an der Macht zu bleiben. Beschert die Macht Einsamkeit, die Fähigkeit alles zu tun, abzuwarten und auszusitzen? Schauen wir nach Berlin, dort gibt es nicht so recht viele Anlässe die Macht zu loben? Fürchten wir uns eher davor? Macht, sind es wirklich „Mächtige“ in Berlin oder woher speist sich die Macht?
Klingt Macht auch positiv? Als François Mitterrand in einem seiner letzten Interviews nach der Macht des Präsidenten gefragt wurde – ich zitiere aus dem Gedächtnis -, antwortete er ganz wunderbar: „Der Präsident hatte ein große Macht…“ er sprach von ihm in der 3. Person, als Institution, und dann folgte „… und ich übe sie aus“. Da klingt alles mit, er als Beauftragter der Nation, der eine gewisse Zeit lang diese ungeheure Machtfülle verwaltet und mit ihr Politik gestaltet. Das klingt schon irgendwie auch danach, Verantwortung zu übernehmen.
Rainer Hank legt mit seinen Kapiteln eine klare Struktur vor: Krönung, Aufstieg, Absturz. Nie wieder stehen viele auf dem Gipfel der Macht so wie am Tag ihrer Inthronisierung, man hat jemanden für das Geschäft gewonnen, danach kommen die ersten hundert Tage und die vielen Kritiker deuten es schon an – die folgenden Kapitel drehen sich wie im echten Leben um – Ohnmacht, Daten, und dann kommt das Geld (wo Freundschaft bekanntermaßen aufhört und Macht beginnt) mit einem Ausflug in die Utopie und das alles mündet im Lob der Macht.
Warum jetzt über die Macht schreiben? Gerade jetzt, wo in Berlin die Kanzlerin sich freut, wieder die Kanzlerschaft weiterführen zu können (Ist das wirklich so sicher?) Jtzt werden Mächtespielchen aller Art die Koalitionsverhandlungen bestimmen. Die SPD hat die GROKO, die gar nicht mehr so GRO wäre, schon am Wahlabend ausgeschlossen, war das nicht ein wenig voreilig? Jede Fraktion, die in Startlöchern zu einer Koalition steht, glaubt eine Machtposition innezuhaben, mal gucken, wer genug magnetisch ist, um die Wunschpartner an sich zu binden, und wer am besten oder am mächtigsten ist, den Wählerwillen zu seinen Gunsten zu interpretieren.
Aufstieg und langsamer, wenn auch langer Abgang: Karl V und Donald Trump. Sind sie denn wirklich allmächtig? Sind diejenigen, die die Macht aus dem Volk beziehen, auch gleich Populisten? Aber Trump, Putin, Erdo?an sind Populisten. Macht bleibt Macht (S. 26) … hm, so einfach ist das nicht. Ist das egal, wie die Macht errungen wird? Wir brauchen aber die Macht, ohne sie geht es nicht: „Macht ist eine enorm produktive Kraft, ohne welche wir weder Forstschritt noch Wohlstand hätten,“ (S. 30 f) damit klingt das Lob der Macht an, die der Autor ihr mit diesem Buch zollen will. Meint er nicht eher Verantwortung? Verantwortungsvolles Handeln, das produktiver als eine Basta-Politik ist? Sie sehen, wir sammeln schon Fragen für unseren Artikel > „Nachgefragt…“ auf hoffen auf ein baldiges Interview mit dem Autor.
Nochmal. Es ist nie ganz unwichtig, wie die Macht errungen wurde: „Noch der gerissenste Intrigant stellt seinen Sieg am Ende als Berufung durch andere dar.“ (S. 35) Alles andere würde ihm schaden und bereits sein Ende anzeigen. Beim Aufstieg ist Selbstüberschätzung im Spiel, sonst gibt es auch keinen Aufstieg könnte man sagen, auch wenn Fortuna da oft die Hand mit im Spiel hat. Martin Schulz (vgl. S. 44) war als Externer wohl nicht für das Spiel im Bundestag geeignet: Aber als er verkündete „‚Die SPD hat den Willen zur Macht wieder,'“ gelang es ihm am Tag seiner Inthronisierung als Kanzlerkandidat, die gerade erhaltene Macht als Funken an die Partei züruckzugeben. Danach zog Fortuna sich zurück oder machte erst mal so richtig mit, Wahlniederlage folgte auf Wahlniederlage und sehenden Auges blickte die SPD auf den Wahlabend des 24.9.2017. So gewonnen, so zerronnen. Und was blieb von der Macht? Die Aufkündigung der GROKO? Soweit die Storytelling, das gehört immer zu allen Machtspielen und ist nach der Liebe, das wichtigste literarische Thema, das Édouard Philippe, > Des hommes qui lisent, folglich auch nicht bei den großen Strategen, sondern bei Jean de La Fontaine am besten vertreten sieht. Aber es gibt noch andere Beispiel der Machtübernahme. Angela Merkel schrieb einen Artikel 1999 in FAZ und es war um die Macht ihres Politikvaters Kohl geschehen. Wiederholt sich das? Oder Macht als Rache? Obama demütigte einst Trump und machte sich lustig, dass er die Mondlandung geleugnet hatte; dem zeig ich es, soll Trump so lange gedacht haben, bis er im Weißen Haus ankam. (vgl. S. 70)
„Fortuna kann gnadenlos sein,“ steht auf S. 75 im Zusammenhang mit der Inauguration: „Dann dreht das Rad der Fortuna weiter.“ Die beiden Bemerkungen sind als Anspielung auf Machiavellis Principe gedacht. Aber „gnadenlos“ ist Machiavellis Fortuna oder überhaupt Fortuina keineswegs. Lesen wir > im 25. Kapitel seines Principe (Nach A. W. Rehberg’s Uebersetzung mit Einleitung und Erläuterung neu herausgegeben von Dr. Max Oberbreyer. Leipzig. Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.) nach „Ich weiß wohl, daß Viele ehedem die Meinung gehegt haben und noch jetzt hegen, die Begebenheiten der Welt würden solchergestalt vom Glücke und von Gott regiert, daß die Menschen mit aller Klugheit sie nicht verbessern und nichts dagegen ausrichten könnten. Daraus könne man abnehmen, daß es nicht der Mühe werth sei, viel einzufädeln, sondern daß man sich nur dem Schicksale hingeben möge. Diese Meinung hat in unsern Tagen durch die großen Veränderungen, die Alles erlitten hat, die man noch täglich sieht, und welche alle menschlichen Vermuthungen zu Schanden machen, viel gewonnen. Indem ich hierüber nachgedacht, bin ich zu Zeiten geneigt gewesen, mich zu derselben Meinung zu bekennen. Weil aber doch der menschliche freie Wille damit in Widerspruch steht, so urtheile ich, daß das Glück wol die Hälfte aller menschlichen Angelegenheiten beherrschen mag; aber die andre Hälfte, oder doch beinahe so viel, uns selbst überlassen müsse.“ Das ist klar und präzise. Die Menschen haben die Hälfte ihrer Angelegenheiten in der Hand, die andere behält sich Fortuna vor. Resignieren wir aber nicht: Machiavelli sagt noch mehr und Grundsätzliches: “ Dennoch können die Menschen in ruhigen Zeiten Vorkehrungen treffen, mit Deichen und Wällen bewirken, daß der Fluß bei hohem Wasser in einem Canale abfließen muß, oder doch nicht so unbändig überströmt und nicht so viel Schaden thut. In gleicher Art geht es mit dem Glücke, welches seine Macht zeigt, wo keine ordentlichen Gegenanstalten gemacht sind, und sich mit Ungestüm dahin kehrt, wo keine Wälle und Dämme vorhanden sind, es im Zaume zu halten.“ Damit ist Fortuna keineswegs gnadenlos, sondern, wenn nicht bezwingbar, so doch bei klugem und vorausschauendem Handeln zumindest in gewissen Grenzen im Zaum zu haltbar. Wer das nicht beherzigt, lernt ihre Macht kennen, (Vgl. D. Hoeges, Machiavelli, > Die Macht und der Schein, Frankfurt/M. 2/2014) die dann, das geben wir zu, „gnadenlos“ sein kann. Die SPD holte sich einen Kanzlerkandidaten, der nicht aus den Reihen der Fraktion stammte und vor der Wahl der Kanzlerin keine Paroli im Parlament bieten konnte… das musste schiefgehen, das war kein vorausschauendes kluges Handeln gegen Fortuna, sondern sie wurde schlicht herausgefordert und ließ sich das nicht gefallen. Ende des Diskurses.
Der Absturz. Macht ist (glücklicherweise) immer mit Absturz verbunden. Und deshalb ist das Buch vom Fürsten auch so unendlich wichtig. Wie erringt der Fürst die Herrschaft und wie behauptet er sie, und welche Fehler hat er begangen, wenn er sie verliert, so darf man Machiavellis Büchlein kurz zusammenfassen. Jetzt wird es spannend: Martin Winterkorn leugnet und fällt rasant ins Bodenlose, vgl. S. 86 ff.: er „stiehlt sich aus der Verantwortung.“ (S. 87). Richtig gut ist der Exkurs über Schmeichler, Haushälterinnen und Hofschranzen (S. 92 ff.) Und wieder geht es um den Abgasbetrug von VW, eine Firma, die heute immer noch der Politik Entscheidungen aufzwingt: wo ist die Macht? Bei der Politik oder beim Abgas? Und dann Thomas Middelhoff, vgl. S. 97ff., wollte mmachtbewusst und standesgemäß mit dem Hubschrauber immer pünktlich sein. Und die Intrige: Peter Löscher pokert hoch und verliert. Fühlt man seine Allmacht, ist das Ende oft nahe. (vgl. S. 108)
Jetzt kommt die Bibel und die zehn Gebote dran: „…du sollst neben mir keine anderen Götter haben,“ wir haben es schon oben erwähnt, wie schwer sich unsere Politiker damit tun, ihre Nachfolger aufzubauen. das können sie einfach nicht. Macht will man besitzen. Nun legt Hank eine These vor, die dieses Buch in meinem Seminar zur Semesterlektüre machen könnte: „Der Drang, Macht zu erringen, ist Triebfeder des zivilisatorischen Fortschritts.“ (s. 132.) Wie gesagt. Wieder eine Frage für den Autor: > „Nachgefragt…„. Und auf S. 149 steht „Macht ist nie böse, solange es Wettbewerb gibt“, stimmt das? werde ich den Autor fragen.
Schade, Blogartikel sollen kurz sein, die Glocke hat schon geläutet, so wie damals die Klingel an den Schreibmaschinen am Ende der Zeilen.
Aber jetzt kommmt noch das Kapitel 6 Die Daten: „Der Segen des Algorithmus“ ? Ist das nicht die eigentliche Katastrophe unseres Jahrhunderts, wenn mein Freuden mir auf dem IPad zeigt, wie ich die Fotos nach Gesichtern ordnen kann? Und das funktioniert nicht nur mit den Steifftieren. Hank legt die Fakten auf den Tisch: Big Data, Disruption, Amazon mit seinem Sammeldatenwahn. Nein Google sollte man nicht zerschlagen. Gottseidank gibt es in Frankreich als Vorbild für uns den CNNum der gerade > eine öffentliche Befragung zum Vertrauen in Internet-Plattformen startet.
Macht und Geld. Mit Geld bekommt man auch Macht. Aber nicht immer. Der Fahrer des großen schwarzen SUVs, der neben mir an der Ampel wartet, wird sehr wahrscheinlich (wenn er es nicht gelernt hat) auch mit sehr viel Geld nicht das Vermögen kaufen können, heute nachmittag Proust im Original lesen und verstehen zu können.
Im Kapitel Utopie erklärt Hank zu Recht, wieso Paradiese der Machtlosigkeit scheitern müssen.
Wie angedeutet, der Essay von Rainer Hank bietet uns reichlich Stoff für Diskussionen. Und wir haben viele Fragen an ihn: „Ist der Titel eine Provokation?“ Die Bücher, in denen immer das steht, was man ohnehin weiß und glaubt, sind langweilig.
Rainer Hank
> Lob der Macht
1. Druckaufl. 2017, 272 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-96179-9