Lesebericht:
Ralph Bollmann, Die Deutsche. Angela Merkel und wir

> Nachgefragt:
Ralph Bollmann, Die Deutsche. Angela Merkel und wir

merkel-ludwigsburg-1Bundeskanzlerin Angela Merkel wartet vor dem > Staatsakt in Ludwigsburg am 22. September 2012 auf Präsident François Hollande

Bei Klett-Cotta ist das Buch von Ralph Bollmann, > Die Deutsche. Angela Merkel und wir erschienen. Vor den ersten Seiten liest man oft den Klappentext. Wir lesen ihn jetzt auch und vergleichen ihn mit unserem Lesebericht:

„Wir Deutsche werden mit Angela Merkel identifiziert und identifizieren uns mit ihr. Auch Umfragen unter anderen Europäern zeigen: In einer Mischung aus Kritik und Bewunderung sehen sie in der Kanzlerin die Verkörperung alles Deutschen. Aber stimmt das überhaupt? Merkel hat lange gebraucht, um sich an das Fühlen und Wollen der Westdeutschen anzupassen.

Ralph Bollmann hat ihr Wirken jahrelang kommentiert und sie aus der Nähe beobachtet. Klug argumentierend und kenntnisreich beschreibt er, wie ihr Agieren einen fundamentalen Wandel in Politik und Gesellschaft spiegelt: Nach dem Ende der Lagerkämpfe repräsentiert sie die politische Mitte – und damit zugleich den Untergang der vertrauten demokratischen Kultur. Damit wird das Buch zu einem Doppelporträt von Merkel und uns Deutschen, das über den Tag hinausweist.“

merkel-ludwigsburg-3Meine französischen Freunde haben mich im Verlauf der letzten Monate öfters als früher auf Angela Merkel angesprochen. Das lag sicher an den drei Gelegenheiten, wo wir zusammen die Bundeskanzlerin beobachten konnten:

<< 1. > Staatsakt in Ludwigsburg am 22. September 2012 auf Präsident François Hollande anlässlich des 50. Jahrestages der Rede Charles de Gaulles an die deutsche Jugend, 2. der > Besuch der französischen Nationalversammlung im Bundestag und 3. die Feier zum > 50. Jahrestag des Deutsch-französischen Jugendwerks in der Mutualité in Paris, wo > Angela Merkel und Präsident François Hollande per Video dem Jugendwerk gratulierten.

Sicher, meine französischen Freunde wollten vor allem wissen, ob sie wiedergewählt werde. Im gleichen Atemzug erwähnten sie störende Geräusche im deutsch-französischen Motor… der ist halt laut, wenn richtig gearbeitet wird, darauf haben wir uns geeinigt. Missstimmungen zwischen der Kanzlerin und dem Präsidenten erlauben kaum Rückschlüsse auf die (intensive) Arbeitsebene zwischen Paris und Berlin. Nebenbei schwang bei meinen Freunden schon ein wenig Respekt für die Kanzlerin mit, Deutschland stehe wirtschaftlich gut da. So ist der erste Satz des Klappentextes zu verstehen, die Deutschen identifizieren sich vorzugsweise mit der Habenseite der Kanzlerin. Auch wenn Merkels Einsichten in die Zwänge und Notwendigkeiten der EURO-Rettung später als erhofft kamen, so werden ihre Erfolge doch anerkannt. Also EURO, Atomenergie, Wehrpflicht gehören zu den Themen, bei denen die Bundeskanzlerin anders entschieden hat, als vorher versprochen. Auch Politiker lernen dazu, aber die Entschiedenheit und der Zeitpunkt, mit der sie die Pferde herumreißt, ist manchmal nicht genau einzuschätzen, außer wenn plötzliche externe Zwänge vorliegen, wie der Atomunfall in Japan, auch dann gelingt ihr die Überraschung.

Sie verordnet den EURO-Partnern Sparprogramme und gibt sich daheim großzügig in punkto finanzielle Wahlgeschenke. Es ist immer eine Frage, wie man den Kurswechsel begründet, oder noch besser, wie man ihn inszeniert. Und das kann die Kanzlerin. (Vgl. S. 25-29) Muss sie auch können. Ist sie wirklich eine „Deutschlandtherapeutin“, wie Ralph Bollmann behauptet? Er hat uns schon ein Interview versprochen: „Nachgefragt…“, wir dann die Überschrift, wie auf diesem Blog üblich, heißen.

„Das völlig Unpathetische ihrer Person“ (S. 13), der fehlende aufwändige Lebensstil und ihre „Bodenständigkeit“ beobachtet der Openhausfachmann Bollman (> Walküre in Detmold. Eine Entdeckungsreise durch die deutsche Provinz) mit etwas Erstaunen, wenn die Kanzlerin zu Wagner Opern nach Bayreuth reist. Fazit: Konturlos mag sie sein, aber sie habe sich ihre Persönlichkeit weitgehend bewahrt, (vgl. S. 25) berichtet Bollmann. Konturlos? Wirklich? Mit welchem Machtgebaren hat sie sich gegen mögliche Widersacher gewendet! Und Bollmann, zählt sie alle auf, die sie auf irgendeine Weise losgeworden ist.

Bollmann hebt an einer Stelle auch ihren Möglichkeitssinn (Musil) (S. 93) hervor, den sie durch ihre Erfahrungen in der DDR sich angeeignet und bewahrt haben soll. Das ist nichts anderes, sich auch einmal Unmögliches vorstellen zu können und dann sogar zu realisieren. Es ist noch nicht ausgemacht, ob die Abschaffung der Wehrpflicht ein Fehler war, zumindest hört man in den Medien kaum etwas zu diesem Thema mehr. Das Hauruckverfahren der Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke, die plötzlich auf der Tagesordnung stand, wurde genauso schnell plötzlich wieder revidiert, nachdem sie nicht mehr in die politische Landschaft passte.

Noch einmal hier zum Gucken:

Die Bundeskanzlerin und der Präsident hätten auch persönlich in die Mutualité zum Gratulieren kommen können: > Hollande, Merkel, Europa und die Jugendarbeitslosigkeit. Aber die Videos, mit denen der Staatschef staatsmännisch und die Regierungschefin charmant dem Jugendwerk gratulierten, kamen wunderbar bei den mit 1000 Gästen gefüllten Saal an.

Zurück zum Klappentext des Buches von Ralph Bollmann > Die Deutsche. Angela Merkel und wir. Meine französischen Freunde fragen aber nicht, ob wir sie wiederwählen. Nein, sie identifizieren Angela Merkel nicht mit uns, den Deutschen, obwohl bei mancher Kritik an ihr, schon mal gleich auch von den Deutschen gesprochen wird. Das ist eine ganz heikle Sache und > Alfred Grosser findet zu Recht, dass man in Ausdrücken wie „Die Deutsche“ oder die „Die Franzosen“ das Wort „DIE“ einfach verbieten müsste. Denn „DIE“ führt immer zu Verallgemeinerungen und schmälert die Möglichkeit des Vergleichs. Aber im Klappentext wird ja auch von Kritik und Bewunderung der Deutschen gesprochen.

 

> Präsident François Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Pressekonferenz in Ludwigsburg

Um gleich das Ergebnis unserer Lektüre vorweg zu nehmen: Bollmann legt in diesem Buch eine kenntnisreiche Analyse des politischen Werdegangs Angela Merkels als Bundeskanzlerin vor. Manchmal lässt er Kritik nur anklingen und gibt dann zugleich wieder dem Bericht und der Analyse mit kenntnisreichen Fakten den Vorzug: Er wird aber auch sehr deutlich: „Wenn es jedoch um konkrete Reformen im eigenen Land geht, tut sie nichts,“ stellt er im Zusammenhang mit den Reformen fest, die Merkel den europäischen Partner verschreiben will. Der Klappentext äußert aber noch eine grundsätzlichere Kritik an unserer Kanzlerin: „Klug argumentierend und kenntnisreich beschreibt er (i.e. R. Bollmann, W.) wie ihr Agieren einen fundamentalen Wandel in Politik und Gesellschaft spiegelt: Nach dem Ende der Lagerkämpfe repräsentiert sie die politische Mitte – und damit zugleich den Untergang der vertrauten demokratischen Kultur.“

Es ist wie immer leicht, auf Lücken hinzuweisen, ihre Auftritte auf internationalen Bühnen kommen vielleicht in diesem Buch ein wenig zu kurz, auch ihr Engagement zugunsten der deutsch-französischen Beziehungen, zu unserem wichtigsten Partner in der EU hätte mehr Seiten füllen dürfen. Bollmanns Thema ist aber „Angela Merkel und wir“. Außerdem ist dieser Beitrag nur ein Lesebericht und keine Rezension. Dennoch darf soviel gesagt werden. Bollmann gibt keine Wahlentscheidung vor, stellt sogar noch schwarz-grüne Überlegungen an, ganz so als wolle er der Kanzlerin einen Überraschungsmoment wegnehmen, er berichtet, beschreibt und deutet Zusammenhänge. Manche Gegner der Kanzlerin werden sich von Bollmann bestätigt fühlen, ihre Anhänger werden hier manche bedenkenswerte Anmerkung finden. Nicht erwähnt haben wir in diesem Lesebericht Merkels Umgestaltung der CDU, ihr Verhältnis zum Kapitalismus, ihr Verhältnis zur Macht, das Bollmann aber nicht nur in einem Kapitel abhandelt.

Wofür entscheidet sich Bollmann? Sollen wir sie wiederwählen? Soll sie in punkto Regierungsdauer Helmut Kohl überholen? Eine konkrete Empfehlung gibt Bollmann nicht, seine wirkliche Einstellung zu ihr oder zur Zukunft unseres Landes kann man nur vermuten. Aber nach der Lektüre fällt die Entscheidung leichter.

Schauen wir uns noch das Video an, mit dem die Bundeskanzlerin das Wahlprogramm vorstellt: 1 Min 47 Sek.:

Knapp und präzise. „Wir haben die Menschen draußen gefragt…“. 2017 soll es den Deutschen besser gehen. Und sie verspricht, dass es keine Steuererhöhungen geben wird. Das nehmen wir ins Protokoll auf. Kein Wort von Europa.

> Ralph Bollmann

> Die Deutsche. Angela Merkel und wir
1. Aufl. 2013, 224 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-94750-2

Alle Fotos in diesem Beitrag: © Heiner Wittmann 2012/2013.


Oskar Piegs, > Erfolgsmodell der Kanzlerin: Warum Deutschland Merkel wählt SPIEGEL ONLINE, 30.7.2013


Rückschau mit Video:
Ralph Bollmann, >Walküre in Dortmund. Eine Entdeckungsreise durch die Provinz

Warum gibt es in Deutschland so viele Opernhäuser? “Die Bundesrepublik ist reich aber unfähig sich an ihrem Opernreichtum zu erfreuen,” schreibt Bollmann, und er hat in diesem Gespräch seine Opern-Vorlieben näher erläutert. Nach dem Besuch so vieler Opern wird man zu einem wandelnden Opern-Lexikon. Wo fanden sie die kleinste Oper, wo steht die größte und zugleich auch bedeutendste Oper?

Ralph Bollmann
> Walküre in Detmold. Eine Entdeckungsreise durch die deutsche Provinz
2. Aufl. 2011, 285 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 2 Vorsatzkarten
ISBN: 978-3-608-94621-5