Silia Wiebe in ihrem Band > Unsere Mütter. Wie Töchter sie lieben und mit ihnen kämpfen hat die Erzählungen von zwölf erwachsene Töchtern aufgezeichnet, die von den Beziehungen zu ihren Müttern berichten. Mal ist es die total auf sich bezogene, ein völlig egozentrische Hippie-Mutter, dann eine kriegstraumatisierte Frau, die es nicht schafft, eine Bindung zu ihrer Tochter aufzubauen. Es gibt auch die Mutter, die ihren 64-jährigen Sohn damit überrascht, dass er eine Zwillingsschwester hat. Silia Wiebe macht komplizierte Löslöseprozesse verständlich. Ihre vielschichtigen Geschichten regen zum Nachdenken an, eröffnen neue Perspektiven, das komplizierte Mutter-Tochter-Verhältnis besser zu verstehen. Eigentlich ist die Mutter eine Seelentrösterin oder gar ein Vorbild, das spiegelt sich in den Erzählungen, wenn Dankbarkeit überwiegt. Aber es gibt auch tiefgreifende Verletzungen und Enttäuschungen, Aussprachen und ein neues Verstehen.
Wann haben Sie als Tochter zum letzten Mal die Fotos aus Ihrer Kindheit angesehen? Und welche Erinnerungen tauchen dabei auf? Wie ist oder war das Verhältnis zu Ihrer Mutter? Wie hat sie Ihre Selbständigkeit gefördert. Was hat sie zu Ihrer ersten ernsthaften Beziehung gesagt. Wie stand Sie zu Ihrem Freund oder Mann? Jede der Geschichten, über die Töchter in diesem Buch berichten, sind Einzelschicksale meist doch mit besonderen Umständen, die an bestimmten Punkten Handlungsalternativen aufzeigen und die Betroffenen erklären oder deuten ihre Entscheidung. Immer wieder kommt dabei die Sprache auf den Einfluss der Mutter, dabei erhält der Leser nicht nur indirekt Hinweise auf Überlegungen, wie die Vergangenheit evoziert und aufgedeckt werden kann. Das meinen wir damit, wenn wir festhalten, dass dieses Buch zum Nachdenken anregt. Es sind nicht irgendwelche Geschichten. Sie haben schon einen gewissen Exemplum-Charakter, da der Leser/die Leserin sich unweigerlich an eigene Situationen erinnern wird, so wie er/sie Kinderbilder aus früheren Tagen anschauen wird.
Im letzten Kapitel dieses Buches befragt die Autorin die Diplom-Psychologin Stefanie Stahl, die sich auf Bindungsängste, zwischenmenschliche Beziehungen und prekäre Selbstwertgefühle als Auslöser bekannter Alltagsprobleme spezialisiert hat. Viele dieser Sorgen gehen auf unverarbeitete Probleme in der Kindheit zurück. Die Wunden mit ihren Auswirkungen, die in dieser Zeit entstehen, sind den Betroffenen oft lange Zeit gar nicht bewusst. Stefanie Stahl rät zunächst einmal ganz einfach zum Nachfühlen. Und redet die Schuldgefühle den Töchtern aus. Manche werden dann früh eingepflanzte Glaubenssätze (vgl. S. 211 f.) finden, die manches Verhalten oder Empfindungen immer noch beeinflussen. Aber man kann derartige Wunden selbst heilen; ihr Aufdecken ist ein erster Schritt zur Heilung. sich selbst nicht eingestandene Verdrängungen, komplizierte Lösungsprozesse, Sehnsüchte, Probleme in den Beziehungen, fehlende Zuneigung, Missverständnisse, die ganze Bandbreie von Konflikten lassen sich oft auf das wie auch immer geartete Beziehungen zwischen Töchter und Mütter zurückführen. Und Stahl glaubt, dass gestörte Mutter-Tochter Beziehungen in späteren Jahren wieder ins Lot kommen können. Großzügigkeit, Gelassenheit und auch Entschuldigungen sind dazu die Stichworte. Müttern fällt es manchmal schwer, die Eigenständigkeit der Kinder im richtigen Moment zu erkennen und zu fördern. Das ist die Frage, wann er im richtigen Moment den Loslöseprozess fördert. Das ist doch auch eine Erziehungsaufgabe.
Silia Wiebe
> Unsere Mütter
Wie Töchter sie lieben und mit ihnen kämpfen
1. Aufl. 2019, 239 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-96332-8
> Nachgefragt: Marianne Krüll, Mütter und Töchter
23. März 2007 | Autor: Heiner Wittmann – Unser erstes Interview!
Am ersten Tag habe ich Marianne Krüll auf unserem Stand getroffen.
Sie hat Erzählungen vieler Töchter gesammelt und beschreibt, wie diese von ihren Müttern erzählen,und sich auf diese Weise mit ihnen versöhnen. Zunächst sprechen sie von ihr und gehen dann in die Ich-Form über, wenn sie von der eigenen Zeit als Mutter berichten….