Lesebericht: Susann Sitzler, Väter und Töchter. Ein Beziehungsbuch

Susann Sitzler: Väter und Töchter, Ein BeziehungsbuchSusann Sitzler hat ein Beziehungsbuch, wie der Untertitel sagt, verfasst: > Vater und Töchter, in dem sie die ganze Bandbreite untersucht, was Väter für ihre Töchter bedeuten können: Vom verständnisvollen und empathiegeprägten Förderer bis hin zur Last, wenn er trotz seiner Abwesenheit irgendwie immer noch präsent ist. Genauso entwickeln sich ihre Beziehungen: es gibt Töchterväter, deren Rolle sich nach dem Bruch ihrer Beziehung, wenn die Tochter mal bei der Mutter, mal beim Vater ist, eher noch verstärkt. Kinder und Töchter sammeln dann Bruchstücke ein und sinnen bald schon über verpasste Chancen nach.

Es ist erstaunlich, wie Susann Sitzler aufgrund eigener Erinnerungen ein ganzes Panorama der Vater-Tochter-Beziehungen auffächert und dabei Standpunkte und Kommentare der modernen Forschung einfließen lässt, so als wollte sie sich bei ihr über ihre eigenen Erkenntnisse vergewissern. Das sind dann die Seiten des Buches, die es zu einer Art Lehrbuch über die Väter-Töchter-Beziehung machen und vielen helfen werden, über problematische Beziehungen nachzudenken und in ihnen neue Chancen zu entdecken. Natürlich kommt Sitzler selbst auf verpasste Chancen zu sprechen, was man sich noch hätte sagen wollen, wenn der Vater noch da wäre. An diesen Stellen wird dieses Buch dann sehr persönlich und man spürt beim Lesen, wie sehr sie sich mit ihrem Vater verbunden fühlt.

Einmal taucht das Mansplaining auf (S. 158 f.), eigentlich etwas negativ besetzt, verrät der Begriff doch, was der Vater einer Tochter hinsichtlich seines Wissens, seiner Erfahrung mitgeben kann, kurz, wie er sie beeindruckt:  zwischen Autoritätsperson und Begleiter. Wie der Vater Einstellungen, auch Gemütslagen und Stimmungen vermitteln kann. Kapitel wie diese werden die Leserinnen zum Vergleich mit ihren eigenen Vätern auffordern und sich daran erinnern, wie in diesem Dialog Rollenvorstellungen entstanden und gefestigt wurden. Dazu gehören auch familiensoziologische Betrachtungen von Susann Sitzler, die auf die alleinerziehenden Väter gemünzt sind, die sich ja heute wie Wisente  (vgl. S.  160) ausbreiten. Mit diesen Beobachtungen wirft sie aber keineswegs die bisher gemachten Feststellungen über Bord, sondern schärft ihre/unsere Erkenntnisse über das väterliche Ego.

Väter und Töchter, das sind keine Einbahnstraßen, wenn Väter bereit sind, auch von ihren Töchtern zu lernen. Irgendwann kommt für alle der Punkt, an dem die Tochter zunächst versucht, um dann mit klarer Stimmer zu sagen, wo es langgeht. Das können auch kluge Bemerkungen sein, wenn die Eltern sich mal missverstehen, und die Tochter dazu eine Ansage macht.

Ändert sich das Verhältnis wenn der erwachsene Vater seiner erwachsenen Tochter gegenüber steht? Susann Schnitzler zitiert viele Beispiele: „Erwachsene Töchter brauchen erwachsene Väter,“ lautet das Urteil  (S. 181). Es ist das Erzählen und das kluge Einordnen dieser verschiedenen Väter-Töchter -Beziehungen, die des Lesereiz dieses Buchs ausmachen. Immer wieder kehrt sie zur Urne ihres Vaters zurück: „ich nehme immer denselbenWeg“ (S. 229) und hält Zwiesprache mit ihm, so als ob sie die Beobachtungen über Väter und Töchter mit ihm teilen möchte, um daraus ihre Gewissheiten abzuleiten.

Es ist erstaunlich, dass außer der gelebten Erinnerung, die Lektüre dieses Buches den Blick für so vieles schärft, was das Unterbewusstsein über die Beziehung der Tochter zu ihren Vater bereithält. In diesem Sinne geht dieses Buch über die eigenen Memoiren weit hinaus und wird zu einer Art Lehrbuch, für die Leserinnen, wenn sie bereit sind, sich auf eine neue Formen einlasse, um das ihnen eigentlich so gut bekannte Verhältnis zu ihren Vätern neu zu durchdenken. Ein Anleitungsbuch, neue Facetten zu entdecken, Erinnerungen anders zu gewichten und auf neue Art nach vorne zu schauen.

 

Susann Sitzler
Väter und Töchter. Ein Beziehungsbuch
2. Druckaufl. 2021, 304 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-98220-6