Auch Bücher von 2005 verdienen es, hier angezeigt zu werden. Kaum was anderes ist für die Erziehung und das Aufwachsen von Kindern so wichtig wie die Sprache. Jean-Paul Sartre hat das in den beiden Kapiteln „Lire“ und „Écrire“ seiner Autobiographie Les Mots (1960) sehr eindringlich beschrieben. Die Entdeckung der Welt mittels der vielen Bücher in der Bibliothek seines Großvaters. Das Aufschlagen der richtigen Seite, das Abschreiben, das Einfügen der Konjunktionen, alles zusammen machte seine Feder zur Waffe. Das wusste er damals schon. Schreiben, das wollte auch Antoine de Roquentin, als er am Ende von Der Ekel (1938) die Biographie von Rollebon aufgibt, Bouville verlässt und sich im Zug sagt, – je cite de mémoire – „Ich muss ein Buch schreiben, das so hart wie Stahl ist, und den Menschen wegen ihrer Existenz die Schamröte ins Gesicht treibt.“ > Sartres Ästhetik in einem Satz. Dieser Gedanke ist aller PC-Technik weit überlegen. Darum geht es beim Schreiben, anderen neue Möglichkeiten aufzeigen und sie daran erinnern, was sie versäumt haben. Auch wenn in Digitalien eines Tages die Handschrift verschwinden sollte, wird man immer noch mit Wehmut daran denken, wie leicht doch die Gedanken mit der Tinte auf das schöne glatte Papier flossen, heute quälen sich die Buchstaben an Abstürzen, Updates, Programmfehlern, unverständlichen Formatvorlagen, unkompatiblen Dateiformaten, kaputten Dateien, kaputten Routern, fehlerhafter Hardware vorbei auf den Drucker, wenn dieser gerade mal nicht streikt. Wenn man ein Buch mit Word verfasst hat, > die Druckvorlage endlich auf dem Weg zum Verlag ist, dann fragt man sich, warum man das alles nicht lieber mit der Schreibmaschine gemacht hat. Wieviel Zeit klaut uns der PC? – Hier steht vieles zur Handschrift und zum Touchscreen: > Texte schreiben oder Buchstaben suchen? Schreibschrift, Blockschrift oder Touchscreen?.
Man kann es drehen und wenden wie man will > Caspar Hirschi, Carlos Spoerhases Artikel Die Gefährdung des geisteswissenschaftlichen Buches. Die USA, Frankreich und Deutschland im Vergleich im neuen MERKUR 02/2015 hat viel mit den apokalyptischen Reitern zu tun, von denen wir in unserem Lesebericht > Schwerpunkt: « Die Gegenwart des Digitalen » Merkur 788 – Januar 2015 im neuen Gewand erzählt haben. Ohne die PC-Technik würden andere, bessere Texte besonders von Anfängern geschrieben werden. Wieviel Konzentration und Zeit geht durch das Einrichten, die Abstürze, das Erlernen der Programme, das Surfen, das Suchen und Stochern im Netz verloren! Vielleicht hätte mein Studium in Bonn mit dem PC länger gedauert. Heute können sich Studenten kaum vorstellen, ohne PC zu arbeiten, auch wenn das Erstellen einer Hausarbeit z. B. über Camus nur online einfach nicht funktioniert. Und ohne Open Access, Scanner, Sticks mit geklauten Texten, ohne die Verführung im Netz was zu suchen, könnten wir uns wieder aufs Schreiben konzentrieren.
Valentin Groebners Aufsatz > Mit Dante und Diderot nach Digitalien. Wie viel will die Wissensgeschichte von sich selber wissen? im neuen MERKUR 02/2015 ist so gut, an ihn muss ich nochmal erinnern. Wir sprechen heute von der Wissensgesellschaft und tun so, als hätten wir noch nie eine traditionelle Papierbibliothek von innen gesehen; wir lobpreisen Wikipedia, freuen uns an den vielen Fakten, die die kollektive Intelligenz objektiv ordnen will, vergessen aber, dass > Diderot mit seiner Enzyklopädie, ihrem Anspruch, ihrem Mut und ihrer Qualität der heutigen Wikipedia wohl überlegen ist. Diderot bezog Stellung, denn ein Lexikon ohne sogar implizite Stellungnahme gibt es nicht. Wikipedia will objektiv sein und kann immer nur so tun als ob. Groebner schreibt: „Im Reden über die Wissenswelten der Zukunft stecken eine ganze Menge alte Narrative, vor allem theologische.“
Helga Andresen
> Vom Sprechen zum Schreiben
Sprachentwicklung zwischen dem vierten und siebten Lebensjahr
Konzepte der Humanwissenschaften
1. Aufl. 2005, 272 Seiten, broschiert
ISBN: 978-3-608-94394-8