Wir hätten schwören könne, diesen Artikel vor zwei drei Jahren geschrieben zu haben, nein, er ist vom 26. August 2009. Aus Anlass der Ausstellung > Oulipo, la littérature en jeu(x) haben wir ihn hier wieder nach oben geholt.
Da müssen wir hin:
Oulipo, la littérature en jeu(x) Exposition
Entrée libre du mardi au dimanche 12h-19h
lundi et jours fériés
Bibliothèque de l’Arsenal, 1, rue Sully, 75004 Paris
> Adresses et transports – Arsenal
> Georges Perec (1936-1982) zur Oulipo-Gruppe.
Jetzt hätte ich Lust, dieses Buch einfach mal vorzulesen. Eine Flasche Mineralwasser, das kleine Tonbandgerät mit dem Mikro würden genügen. Und dann ginge es los. Ohne Punkt und Komma. Denn die sind ja auch gar nicht im Text. Perec arbeitet das vorne im Buch abgedruckte Diagramm linear ab. Georges Perec war Mitglied der > Oulipo (Ouvroir de littérature potentielle) – experimentelle Literatur, die aber auch ganz genauen Regeln und Zwängen folgt: > Oulipo.
> Mit Bild und Ton: Wie bitte ich meinen Abteilungsleiter um eine Gehaltserhöhung?
Idee und Entschluss, den Abteilungsleiter um eine Gehaltserhöhung zu bitten, stehen in den ersten drei Zeilen. Auf zu seinem Büro, aber er ist nicht da. Zurückgehen oder bei der netten Kollegin vorbeischauen, auf dem Flur hin-und hergehen und sich bei der Organisation umgucken, bei der man beschäftigt ist. Eine der vielen weiteren Möglichkeiten sieht dann doch mal vor, dass der Vorgesetzte im Büro sitzt. Klopfen? Wenn das so einfach wäre. Wir sind noch in der oberen Hälfte des Diagramms. Schaut er auf, schaut er nicht auf, vertagt er das Gespräch, bevor das Thema genannt ist? Der Leser leidet echt mit.
Warten ist aber nie langweilig, bei Perec eher kurzweilig. Wird die Kunst die Wirklichkeit einholen? Oder umgekehrt? Schauen Sie genau hin, es gibt keine Wiederholungen, ganz subtil hat er Veränderungen eingebaut, die Rückschlüsse auf die Eindrücke zulassen, die die Gemütsregungen des Bittstellers planmäßig oder zufällig beeinflussen. Es geht um seine persönliche Entscheidungen, dies oder jenes zu tun und auszuloten, ob das Ergebnis von ihm wirklich intendiert oder erlitten wird. Der Leser zittert mit, ob der Wunsch ankommt, ob der Abteilungsleiter geneigt ist, das erlösende Kopfnicken zu zeigen, dass den Eintritt in sein Reich erlaubt. Oder es passiert doch etwas ganz anderes, das der Autor, obwohl er vor seinem Diagramm sitzt, alles genau bedacht und überlegt hat, gar nicht vorgesehen hat. Und das ist doch im Leben immer so. Und das beste Diagramm hält immer eine nicht berechenbare Überraschung für uns bereit.
Vielleicht nehmen Sie das Buch einfach mal zu Ihrem Jour fixe mit. Oder lassen es bei einer Besprechung auf dem Tisch liegen. Aber Perec hat gar nicht vorgesehen, dass der Chef von sich aus mit dem Thema anfängt. Oder Sie kopieren das Diagramm und lassen es in die nächsten Unterlagen gleiten.
Im Schlusswort hat Bernard Magné die Feinmechanik dieses Textes wunderbar einleuchtend erklärt. Lesen Sie seinen Text aber nicht zuerst. Die Lektüre des Buches von Perec wird Ihnen noch ganz andere Dimensionen des Textes zeigen. Und jetzt gehe ich zu meinem Abteilungsleiter. Und wenn er nicht da ist, dann…
Über die Kunst seinen Chef anzusprechen und ihn um eine Gehaltserhöhung zu bitten steht auf der Longlist: > Abstimmung: Kuriosester Buchtitel.
Georges Perec
> Über die Kunst seinen Chef anzusprechen und ihn um eine Gehaltserhöhung zu bitten
Mit einem Nachwort von Bernard Magné, aus dem Französischen von Tobias Scheffel (Orig.: L‘art et la manière d‘aborder son chef de service pour lui demander une augmentation)
Ausstattung: Leinen mit Schutzumschlag, eingehängtes Organigramm
112 Seiten
ISBN: 978-3-608-93706-0