Lesebericht: Gregor Hasler: Die Darm-Hirn-Connection. Revolutionäres Wissen für unsere psychische und körperliche Gesundheit

Gregor Hasler, der als Professor an der Math.-Nat. und Med. Fakultät Abteilung Medizin der Universität Fribourg in der Schweiz lehrt, hat ein spannendes Buch über die Verbindungen zwischen Hirn und Darm verfasst: > Die Darm-Hirn-Connection. Die Schlangenlinie, die auf dem Cover das Gehirn mit der Speiseröhre verbindet – mit Pfeilen an beiden Enden – resümiert das Geschehen in jeder/m von uns. Der Magen und alles dahinter hat was mit dem Gehirn zu tun, das nicht nur Vorgänge registriert steuert und voraussieht, sondern im wahren Sinne des Wortes ein Nervenzentrum für alles ist, was sich hinter und rund um unseren Bauchnabel zuträgt. Wir sagten Pfeile an beiden Enden der Schlangenlinie: also damit sind auch nicht nur die Infos aus dem Darm gemeint sondern auch die Hormone und andere Stoffe, die der Darm zu unserem Wohlbefinden beisteuert. Natürlich hat das alles etwas auch unserer Ernährung zu tun.

> Nachgefragt: Die Darm-Hirn-Connection. Revolutionäres Wissen für unsere psychische und körperliche Gesundheit – 22. April 2020.

Das Buch ist kein bloßer Ratgeber. Hasler hat auch nicht nur ein Fachbuch verfasst: er trifft ziemlich genau die Mitte zwischen einem populärwissenschaftlichen und damit allgemeinverständlichen Jargon und den harten Fakten eines medizinischen Lehrbuchs. Natürlich fallen manche Ausdrücke wie in einer medizinischen Vorlesung für höhere Semester, aber sie werden sorgsam erklärt und in ihrer Bedeutung ausführlich beschrieben.

Hasler schreibt über seine praktischen Erfahrungen. Nicht nur der abendliche Blick in den Kühlschrank während einiger selbst verordneter Fastenstunden, wenn sein Magen doch so gerne noch dies und das kriegen würde, er schreibt auch über Patienten mit komplizierten Befunden und wie Modifikationen der Behandlung ihnen neue Heilungsaussichten verschafften. Es ist seine Passion, Patienten zu helfen, die der Leser bei der Lektüre eines Buches spürt. Eine Passion für seinen Beruf, seine Neugier, Zusammenhänge verstehen zu wollen; manchmal muss man echt kombinieren können, um die Abläufe (Geräusche)  im Darm und drumherum verstehen zu können. Alles hängt irgendwie mit allem zusammen und Hasler zeigt hier seine Kunst, den richtigen Ansatzpunkt zu finden. In dem er seinen Lesern den richtigen Mix aus Fachtermini und praktischem Wissen vermittelt, wird es einigen sicher gelingen, Probleme besser in den Griff zu bekommen.

Nach der Lektüre des ersten Kapitels (zs. mit Sigrid Breit und Aleksandra Kupferberg) werden Sie mehr über den so zentralen Vagus-Nerv, der Teil des vegetativen Nervensystems ist, wissen, der die Darm-Hirn-Connection steuert. Ihre Beeinflussung kann dazubeitragen Krankheiten zu heilen. Wenn Sie den Sympathikus (Streßnerv) und den Parasympathikus des vegetativen Nervensystems kennenlernen (S. 5-9) sind Sie gut gerüstet den Fortgang der Dinge zu verstehen: „Verdauen hießt, die Welt ertragen, einstecken, auflösen, umwandeln, sich aneignen, hinter sich bringen, erkennen, verarbeiten und überstehen.“ (S. 9) Vagus und Streßnerv arbeiten gegeneinander, genausogut wie das wichtig ist, kann daraus bei Störungen ungewünschte Unruhe entstehen. Wobei hier schon klar wird, dass Hasler nicht nur Internist sondern auch als Psychologe dieses Buch verfasst hat. Und dennoch hat die Medizin den Darm als Sinnesorgan bisher nicht auf der Agenda (vgl. S. 32 f.) Betrachtet man aber das gesamte Geschehen rund um den Darm, das Interozeptionssystem (S. 35 ff.) darf man zu einer anderen Auffassung kommen: „Anhaltender Stress ist der häufigste Grund für eine Störung des Interozeptionssystem.“  (S. 37) Der Darm als Stressableiter und das wird ihm manchmal auch zuviel und dann reagiert er richtig zickig. Da nützt auch nicht die Pillenempfehlung just vor der Tagesschau nichts.

Darmnerven und -hormone: Intelligenz und Glück aus dem Bauch (zs. mit Aleksandra Kupferberg). Ohne in Details zu gehen, es kommt viel mehr aus dem Darm, als Sie vermuten. Geht es ihm gut, gibt es Belohnungen  u.a. Dopamin, so einfach ist das. Geht es dem Körper nicht gut, bleiben die Belohnungen aus, der miese Kreislauf fängt an. Und dann muss man irgendwo ansetzen. Aber wo? Verstopfung? Tranquilizer aus dem Darm. Lesen Sie dieses Kapitel, dann wissen Sie auch was Choleyzystokinin ist, und wozu der Darm das nun wieder braucht.

Die Inselrinde im Gehirn ist zuständig für Bauchgefühl und Hunger. Also eine Art Regierungszentrum. Registriert sie keine Ungleichgewichte verlaufen die Austauschprozesse normal, gibt es auch eine Stimmigkeit bei Entscheidungen. Allerdings kann diese Balance aus dem Takt geraten: Dafür gibt es viele Gründe: Stresssituationen jeder Art, schlechter Schlaf und falsche Ernährung: S. 76 ff.  Nun  kommt es: die Inselrinde, die mit dem Darm durch eine Art Rotes Telefon verbunden hat hat auch eine Nebenabteilung die für psychiatrische Krankheiten (vgl. S. 90ff.)zuständig ist. Also mal gucken, was es dort mit dem Glukoseverbrauch auf sich hat. Zuviele Fachtermini? Aber wenn man S. 90-93 liest, würde man gerade an dieser Stelle gerne noch mehr erfahren.

Von Belohnungen haben wir schon gesprochen. zs. mit Sigrid Briet ist das Kapitel Das Hirnbelohnungsystem: Zuckersucht und Idealgewicht entstanden: S. 97-151. Die Folge dieser Lektüre, wir kaufen anders ein, wir essen anders. Kein Ratgeber liegt vor uns, aber einige Sachzusammenhänge werden so präzise erklärt hat, dass die Zuckerdose zubleibt.: Jetzt kennen Sie auch glykämischen Index (GI) (vgl. S. 137): Auf Wiedersehen: Fruchtsäfte, Brot, Frucht-Joghurt, die geliebten morgendlichen Cornflakes, Desserts jeder Art, die kleinen feinen Zuckerbomben. Und wieder geht es um Psychologie: Zuckerlust als Folge und Ursache der Depression: S. 141-149.

Die Darmbakterien: Die Krise unserer Arbeiterklasse (Aleksandra Kupferberg) mit dem Untertitel „Einfluss der Darmbakterien auf unsere Gesundheit und Psyche“. 3.3 Millionen mikrobieller Gene bilden die Population im Darm : das Mikrobiom: S. 128. Vermeiden wir hier die Details. Aber es wird klar, wo Untersuchungen ansetzen können, um Ungleichgewichte zu definieren und zu behandeln. Dieses Kapitel schließt wieder mit einem Absatz aus der Psychiatrie: „Depression, Stress, Angst: Eine mögliche Folge von Dysbiose“ (S. 195-201).

Darmbarriere und Darmimmunsysem: Warum wir so verletzlich sind (zs. mit Aleksandra Kupferberg und Claudia Bakaj). Jetzt wird es nochmal so richtig spannend: „Da 80 Prozent des Immunsystems im Darm angesiedelt ist, betrachte ich diese Wirkung des Immunsystems auf die Psyche als Teil der Darm-Hirn-Connection.“ (S. 215) Das ist der Schlüsselsatz, der die Grundlage der beiden letzten Kapitel dieses Buches darstellt. Und Hasler skizziert hier auch ungelöste Probleme. Was für ein Krimi, in dem der Autor es offenlässt, wer der Täter sein könnte. Es gibt Indizien, einige Hinweise, Vermutungen. Einige Tatbestände sind klar und offenkundig, die Schuldigen können benannt werden. In diesen beiden Kapiteln lässt Hasler anklingen, was für Fortschritte in der Inneren Medizin auch auf Grundlage psychiatrischer Erkenntnisse gemacht worden sind.

Lesen Sie das Buch und Sie schreiben hinterher einen ganz anderen Einkaufszettel.

Schattauer: > Fünf Fragen an unseren Autor Prof. Dr. med. Gregor Hasler

Gregor Hasler
> Die Darm-Hirn-Connection
Revolutionäres Wissen für unsere psychische und körperliche Gesundheit
Schattauer: Reihe Wissen & Leben
2. Druckaufl. 2019, 301 Seiten, Klappenbroschur
ISBN: 978-3-608-40002-1