Lesebericht: Dictionnaire des idées reçues 2.0:
Charlotte Förster, Justus Lohring, Der moderne Spießer

Zu meinen unbestrittenen Lieblingsbüchern gehört das Büchlein > Le Dictionnaire des idées reçues von > Gustave Flaubert, den wir kürzlich besucht haben. Eigentlich war das ein Beiwerk für den wunderbaren Roman „Bouvard et Pécuchet“. Warum und wie Flaubert Schriftsteller geworden ist, hat> Jean-Paul Sartre auf 2801 Seiten untersucht. – Jetzt haben Charlotte Förster und Justus Lohring unter dem Titel > Der Moderne Spießer ein Dictionnaire des idées reçues 2.0 vorgelegt. Woran erkennt man die, von denen man sich absetzen möchte? Man selber ist ja überhaupt nicht wie die anderen. Zwar versprechen wir uns auch, uns dieses Weihnachten wirklich nichts zu schenken (S. 13), in Mathe war ich auch nicht so toll (S.13), und wir gehen gerne auch in ein echtes Fahrgeschäft, da wird man gut beraten und teurer darf es auch sein (S. 13). In der DB-Lounge (S. 43 f.) trifft man uns auch, da können wir uns von den übrigen Bahnreisenden prima absetzen und ärgern uns über die bevorzugten 1. Klassevielfahrer oder -wartenden, die es in der Lounge noch ein bisschen besser haben. Und wenn der Rollkragen wieder einmal aufgetaucht ist, gehen wir auch bestimmt wieder in das wunderbare Programmkino (S. 48 f.) Bei Manufactum (S. 43 et passim) gucken wir gerne immer wieder mal rein. Beim munteren Zappen sitzen wir plötzlich wieder in der unvermeidlichen Talkshow, solange bis jemand merkt, dass wir schon wieder die Typen der letzten Woche angucken (S. 13). Einen Hund haben wir nicht. Vielleicht doch eines Tages? „Falls sie mal wieder unsicher sind: Ihr Hund ist der, der Sie nie nach Geld fragt.“ (S. 70) Manchmal bekomme ich einen Einkaufszettel für den Markt in die Hand gedrückt. Sie ist (schon) im Lions Club. (S. 77) Muss der Twittername eigentlich auf der Visitenkarte stehen? (S. 84) Hören Sie auch im Büro „…das hätte ich fast nicht besser machen können.“ (S. 94) Hat Ihnen heute schon jemand versprochen, „ich folgen Ihnen… auf Twitter“ (S. 97) Geht es in Ihren Meetings auch um „belastbare Zahlen“? (S. 109) Und Ihr Lieblingslied ist „dieser coole Song aus der Werbung“ (S. 137) Und in Ihrem Bücherregal steht Loriots Gesamtausgabe, Konz‘ 1000 ganz legale Steuertricks und Saint-Exupérys Der kleine Prinz. Aber noch nicht Charlotte Förster, Justus Lohring, > Der Moderne Spießer, Stuttgart: Tropen 2013. Dann wird es Zeit, dass sie das auf Ihre Bücherregal stellen. Schließlich sind Sie kein Spießer, das sind nur die anderen, und es freut einen doch immer wieder, wenn die eigenen Urteile ständig bestätigt werden. P.S.: Hängt bei Ihnen zu Hause ein Schlüsselbrett (S. 157)? Sie haben ja auch sicher einen Schallplattenspieler, Vinyl klingt einfach wärmer (ib.), und am Gartentisch stecken Tischklammern (ib.)