Lesebericht: Alexander Schimmelbusch, Hochdeutschland

Der neue Roman von Alexander Schimmelbusch, Hochdeutschland erzählt die Geschichte von Victor, ein Investment-Banker, der mit seinem Geld nicht weiß wohin, es wird immer mehr. Er hockt in seinem Porsche, natürlich ein Firmenwagen. Als einer seiner Kunden, niemand anders als der Chef der Daimler AG ihm erklärt, ein Auto drücke die Persönlichkeit des Fahrers aus, bleibt der Bissen Branzino in Victors Hals stecken, Mit dem Auto etwas wollen… Aber zu Hause regiert eine App Cribz über alle Funktionen des Heims.

Victor wird Partner und Gesellschafter der Birken Bank. Noch schafft er es, Zeit für seine Tochter Victoria zu haben. Von Antonia lebt er getrennt in Falkenstein. Jetzt ist aber gerade die Nachbarin Maia dran, die beim nächtlichen Auskundschaften seines Wohnzimmerfensters mit Hilfe der Cribz-App auf Victors Smartphone im fernen Moskau, mit der er die Lampen im Wohnzimmer aufblinken ließ, erstmal verjagt wurde. Da aber mittlerweile die Ehen Sollbruchstellen haben und ein „Paradigmenwechsel im Frankfurter Wohlstandsgefüge“ eingezogen, kamen auch Maia und Victor zusammen, wenn auch nur sporadisch.

Im täglichen Bürobetrieb der Birken Bank merkt er, unter welchen Stress die jungen Banker arbeiten, Häftlinge nennt er sie. Eine Erhöhung ihrer Zahl lehnt er ab. Dann ist da noch Julia, die er schon seit 16 Jahren kennt und sein Studienfreund Ali Osman. Eine Mittagspause bei einer Restaurantkette, deren Lokal gar nicht gut bei Schimmelbusch wegkommt. Das Konzept der Kette will, „dass jede Schüssel Pasta ihre eigene Geschichte hat.“ Der Besuchsbericht gerät zu einer präzisen Abhandlungen über die Irrungen und Wirrungen neomoderner Gastronomiegewohnheiten oder -angebote. Irgendwie auch wieder zu kritisch, weil unsere Redaktion dort gerne essen geht.

Die Suche nach Liebschaften gibt ihm trotz mancher Versuche keine so rechte Ausdauer. Aber irgendwie will Victor auch den Kopf freihaben, um den Pitch zu verfassen. Gut ist er nicht auf seine Bank und seine Kollegen zu sprechen: „Eine Investmentbank war eine Sklavenkolonie mit Ketten aus Bonuszahlungen.“ Das klingt nach unreparierbar, irgendwas ist kaputt in diesem System.

Kapitel vier bringt die Geschichte mit dem Besuch beim Finanzminister. Das Treffen verläuft geschäftlich erfolgreich aber Victor guckt mehr auf die Formen, das Getue, um „die Komplexe und Neurosen des Ministers schnell zu durchdringen“, solle dieser doch das Gefühl auskosten dürfen, mehr als eine „Verlegenheitslösung“ zu sein. Schließlich will der Minister mit Victor ins Gespräch kommen. Ferrari, Bank, Italien? Man muss ja schließlich vorsorgen angesichts der kommenden Wahl.

Jetzt kommt noch Pitch dran, sozusagen der dritte in diesem Roman. S. 104 ff.: Victor hat eine düstere Vorstellung von der wirtschaftlichen Situation Deutschlands und seiner Bürger. Verlust der Gewissheiten, kollektive Angststörung, ihre ständige Suche erodiere bei jeder Etappe. Wie Viktor dazu kommt? Alles belegbar aus seinen Zeitungslektüren, bemerkt er nebenbei. Im Hotel schreibt er sein Manifest nieder, S. 108 ff: Er rührt an alle Grundfesten und stellt unser Wirtschaftssystem komplett in Frage. Alle Ungerechtigkeiten seien zu kappen, die „strukturelle Prekarisierung der Arbeiterklasse“ müsse ein Ende haben, Das Talent solle wieder entscheiden, nicht die Willkür. Er schwärmt von chinesischen effektiven Bildungssystem und beklagt – hier allerdings mit Recht die Kalamitäten der deutschen Unis, S. 112.

25 Mio. Euro (pro Jahr od. Monat) wird künftig die Obergrenze sein, worüber die German Knvestment Authority GINA wachen werde. Viktor fährt einen Frontalangriff auf die Oberklasse, die, so lässt er durchblicken, Geld aufgrund vor allem von Zufällen anhäuft, Geld das andere erwirtschaften. Deutschland AG, Wohlstand für alle. Ach ja, eine Gedankenpolizei für diejenigen, die mit den kollektiven Interessen hadern, ist auch schon angedacht. Aber Victor ist sich sicher: „Ohne eine unternehmerische Regierung wird unsere Heimat in eine Beseitungslosigkeit verschwinden.“ Heute ist in Berlin gerade die neue Regierung vereidigt worden. Die Koalition, die sie stützt, versucht jetzt eine neue Runde, nachdem sie den Ist-Zustand mit einigen Aussichten auf 177 Seiten des Koalitionsvertrages formuliert hat. Das Baukindergeld soll ganz bald (wieder) eingeführt werden. Man will sich ja bei den Wählen bedanken.

Es kommt wie es kommen muss. Sein Freund Ali freut sich über die Anleihen, die er bei Viktors Manifest machen kann, er bringt alles in eine andere Ordnung… die Wahlen kommen. Die Deutschland AG in Form seines Freudes Ali Osman wird 15 Jahre später zum dritten Mal wiedergewählt.

Solange in Berlin die Deutschland weiter hauptsächlich nur verwaltet wird, sind neue Visionen willkommen. In dieser Politutopie ist nicht jeder Vorschlag tragfähig, zu radikal sind Victors Ideen. Aber der Weg über die Desillusion beim industriell gefertigten Essen in der Restaurantkette über das wachsende Missbehagen im Investmentbanking gibt zu denken. Gleichzeitig merkt man auch, wie weit die neugewählte Koalition von Visionen entfernt ist: keine Steuerreform, um das Elend der Steuererklärungen nachhaltig zu erleichtern. Die alte Koalition besteht immer noch nur aus Kompromissen, die Partner bremsen sich weiterhin gegenseitig aus. Man weiß immer noch nicht, ob die Koalition ihre > Hausaufgaben wirklich auf dem Schirm hat

Alexander Schimmelbusch
> Hochdeutschland
Tropen 1. Aufl. 2018, 214 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag- ISBN: 978-3-608-50380-7