Drei Schüsse haben das Leben von Kriminalhauptkommissar Fallner verändert. Notwehr? Er hat bei einem Einsatz einen Jungen erschossen. Jetzt ist Dobler krank – dienstunfähig. Seine Therapeutin schickt ihn auf eine Reise. Er soll seinen Jugendtraum verwirklichen, sich eine Bahncard 100 beschaffen und so lange Zug fahren, wie er Lust hat. Auf diese Weise könnte er den Jungen vergessen. Tapetenwechsel, ständiger Tapetenwechsel.
Fallner zögert, schafft die Abfahrt nicht, beobachtet ständig die Gleise am Bahnhof von seinem Balkon aus. Irgendwann packt er es und fährt los. Von wegen den Jungen vergessen, der ist dauernd mit dabei. Fallner blättert die Service-Zeitschrift der Bahn durch. Irgendein Artikel über die Sicherheit beim Bahnfahren… immer wieder wird er an sein Polizistendasein erinnert. Manchen unbequemen Mitreisenden hält er seinen Dienstausweis unter die Nase. Manchmal fragt er sich, warum er seine ganz unten in die Tasche gelegt hat. Vielleicht würde ihm seine Therapeutin sagen, wenn sie die Waffe mitnehmen, reist auch der tote Junge ständig mit. Das ist so, da kann man gar nichts dagegen machen.
Realität und Traum gehen ineinander über. Und Franz Dobler präsentiert die Verknüpfung dieser Szenen sehr geschickt. Erst der Fluss der Geschichte bringt es mit sich, Tagträume von Fallner oder sind es seine aktive Handlungen. Als Zuglektüre ist dieses Buch bestens geeignet. Wenn Sie dabei manchmal so ein wenig hindämmern, spricht der Junge bestimmt auch zu Ihnen: Notwehr oder fahrlässige Tötung? (vgl. S: 20)
Keiner der Orte, wo er aussteigt, oder gar eine Nacht verbringt, verschafft Dobler andere Gedanken. Beinahe landet er bei jedem Ausstieg in einem halb oder ganz kriminellen Milieu. Als ob sein Job die Halbwelt magisch anziehen würde. Oder ist das nur sein kriminalgeübter Polizistenblick. Er hat ihn immer dabei und weiß auch, wo welcher Mord wie passiert ist. Billige Absteigen wählt er, in den Kneipen muss er sich „Kackoberförster“ (S. 102) nennen lassen. Er bleibt ruhig und antwortet mit den Erkenntnissen der „Profiler“. Es ist dieser Wechsel zwischen Wirklichkeit, Verdrängung, Erinnerung und Traumfetzen, der den Leser in diesen Roman zieht, eine Geschichte, die eben nicht an den Orten spielt, sondern die sich in der Vorstellungswelt von Fallner ereignet.
Die psychische Belastung eines Polizisten ist ein Thema dieses Buches. Die ist aber so stark, dass die Psychotherapeutin kommt etwas wirklich Zielführendes bewirken kann. Die Idee mit der Dauer-Reise beschleunigt das Gedankenkarrussell Fallners. Die Mitreisenden, die trostlosen Orte, das Warten, alles erinnert ihn an seinen Job. Fallner ist kaum er selbst. Fallner ist Polizist und von ihm als Individuum ist nicht viel übrig: „Ich bin Polizist,“ sagte er. – „Ich nicht“, sagte sie (S. 187.) Manch mal versucht er von sich aus den Jungen zu denken. (vg. S. 211)
Heilung ist nicht in Sicht: „Du bist lustig. Du hast dreimal geschossen….“ Die Spirale dreht sich weiter. „Er sah den Jungen sich auf dem Boden wälzen und lachen.“ (S. 255) Traum und Realität verschwimmen, sind es Zwangsvorstellungen, die Fallner so zusetzen? Er denkt wieder an die Heckler, die in seiner Tasche liegt . Das geht nicht gut, denkt sich er Leser. Passen Sie auf, dass Sie nicht die nächste und übernächste Station einfach so verpassen. Da ist das rotkarierte Hemd, (vgl. S. 291) dass der erschossene Junge getragen hat.
Ein Krimi? Ein Roman, oder ein Erzählung? Es gibt einen Erzähler, der alles über Fallner weiß, aber der auch das Gefühl vermittelt, dieser Type entgleitet ihm irgendwie, er nimmt sich eine Selbständigkeit, die ihm eigentlich gar nicht zukommt. Ob Franz Dobler die Entwicklung seines Helden oder Opfers planmäßig angelegt hat, oder hat er sich die Person entwickeln lassen? Schaun wir mal, was dabei herauskommt? Nächste Woche werden wir das wissen. Dann heißt der neu Beitrag auf diesem Blog > Nachgefragt: Franz Dobler, Ein Bulle im Zug.
Franz Dobler
> Ein Bulle im Zug
1. Aufl. 2014, 347 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-50125-4