Lesebericht: Heidi Benneckenstein, Ein deutsches Mädchen. Mein Leben in einer Neonazi-Familie

Als sie 18 wird beginnt ihre Wende. Heidi Benneckenstein ist bis dahin in einer Familie aufgewachsen, die im Neonazi-Milieu fest verankert war. Ihr Buch unter Mitarbeit von Tobias Haberl berichtet davon, was sie dazu bewegte den Neonazis den Rücken zu kehren, auszusteigen und ein zweites, neues Leben anzufangen.

Wieso hat sie ihre Geschichte aufgeschrieben? Zu einer Zeit, wo die rechtspopulistischen Bewegungen an Zulauf gewinnen, die AfD in die Parlamente einzieht und wie sie schreibt „die meisten Menschen haben keine Ahnung, wie tief die Ausläufer rechten Denkens in die bürgerliche Gesellschaft hineinreichen.“ (S. 17). Ihr Familie war sonderbar. Sie erzählt von ihrem Vater und wie sie sich nach dessen Trennung von seiner Frau im Oktober 2007 auch von ihm getrennt hat und ausgezogen ist. Was ihr bleibt ist noch der Kontakt zu ihrer Mutter und ihrer jüngeren Schwester.

Schon in der Schulzeit fiel ihr auf, dass vieles, was die Familie betrieb, nicht mehr in die Zeit passte, verheimlicht werden musste und sie zur Außenseiterin machte. Ihr Vater machte ihr Kriegsangst und leugnete den Holocaust und legten Lebensmittelvorräte im Keller an. Ihre Freundin Librada von den Philippinen löste zu Hause einen Riesenkrach aus.

Urlaub in Ungarn und 1993 entwarf ihr Vater mit dem Verleger Dietmar Munier die Agnes-Miegel-Siedlung, um dort den „Traum vom deutchen Volk“ zu pflegen. Heidi Benneckenstein berichtet auch über die Lager der Bund Heimattreuer Jugend (BHJ) und der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ): „Wir sollten systematisch zu einer brauen Elite herangezüchtet werden, die am Tage der Machtübernahme das Führungspersonal des Vierten Reiches stellen sollte.“ (S. 61) Die Angst vor dem Krieg wurde beschworen, obwohl Heidi schon verstanden hatte, dass die Amerikaner uns nicht angreifen würden… (vgl. S. 67)

Heidi Benneckensteins liest sich berechtigterweise wie eine Warnung vor dem braunen Sumpf, der heute noch in Familien herscht, wo Kinder „selbstverständlich mit Waffen, Gewalt, Nazi-Devotionalien und Liedern der Hitler-Jugend aufwachsen und so zum Teil einer Kampfgemeinschaft werden, die sich hinter einer bürgerlichen Fassade versteckt. In diesem Sinne ist ihr Buch auch eine Warnung vor dem rechtsextremen Spektrum, auf das die Mitläufer der Neurechten hineinfallen. Benneckenstein lernt schon relativ früh die Tentakeln der Bewegung kennen, die Abtrünnige zurückholen. (vgl. S. 85, bsd. S. 161)

Als sie 12 ist, liest sie Ein Haus für alle von Ursula Wölfel und ihr Verdacht, dass in ihrer Familie etwas nicht stimmt, erhärtet sich. Die Gemeinschaft, die ihr Vater so lobte, ließ offen erkennen, dass in ihr für bestimmte ausgegrenzte Menschen kein Platz war: „Ich las, dass es schöne und gesunde Menschen gibt, aber auch minderwertiges Menschenmaterial…“ (S. 149). Später machte sie in einem Zug von München nach Passau eine wichtige Erfahrung, als vier Jugendliche sie bedrängten und zwei Kosovo-Albaner sie unter ihren Schutz nahmen: „Meine rechte Ideologie hatte einen weiteren Knacks bekommen.“ (S. 158)

In Passau nimmt sie Kontakt zur NPD auf und arbeitet in einem Hotel. Später wohnt sie mit Felix in München, wie wird schwanger, verliert das Kind hat, aber sie hat die Verantwortung für ein Kind kennengelernt und spürt wie sie auf Distanz zur rechten Ideologie geht. Felix wird bei einer Veranstaltung zusammengeschlagen, kommt dann auch noch wegen anderer Delikte ins Gefängnis. Und dann die Mordtaten des NSU: „Es war der Moment, in dem mir endgültig klar wurde, wohin es führt, wenn die Ideologie, der ich jahrelang die Treue gehalten hatte, konsequent zu Ende gedacht wird, nämlich nicht in die Freiheit, sondern zu Leid, Terror und Tod.“ (S. 233)

Sind es mehr die Zufälle, die Heidi Benneckenstein beim Ausstieg helfen, den sie aber. so hat es den Anschein, nur zusammen mit Felix bewältigen konnte? Ihre Erlebnisse, die missglückte Schwangerschaft oder das Erlebnis im Zug sind aber Stationen, die sie zum Nachdenken bringt und in diesen sie sich sehr bewusst gegen die Prägung ihrer Kindheit stellt.

Man kann nur vermuten, wie stark die Neonazis des Milieus, aus dem Heidi Benneckenstein heute die Neue Rechte beeinflussen. Sie halten sich in dem Hintergrund, den sie beschreibt, sind aber in ihrer Schmutzideologie umso fester verfangen und versuchen sie als Kritik an denen da oben zu tarnen. In diesem Sinne ist ihr Buch ein wichtiger Beitrag, der dazu anregt, genauer hinzuschauen, wo die Neurechten herkommen.

Heidi Benneckenstein
> Ein deutsches Mädchen
Mein Leben in einer Neonazi-Familie
Unter Mitarbeit von Tobias Haberl
1. Druckaufl. 2017, 252 Seiten, Klappenbroschur
ISBN: 978-3-608-50375-3