Lesebericht: Oliver Weber, talkshows hassen

Talkshow im Fernsehen sind perfekt eingeschliffene Rituale, da kommt zuerst eine oder ein Moderator/in, nach der oder dem die Show genannt ist. Dann kommen die Gäste, sie werden mit Namen und Funktion vorgestellt, oft bekommen sie noch einen Satz, der ihr Denken resümieren soll, der wird aus dem Off gesprochen, während die dazugehörigen Diskussionskandidaten in die Kamera gucken müssen. Ach, und es gibt auch ein Thema, an das manchmal durch eine ganz kurzen Film auch mehrmals erinnert wird, damit es nicht plötzlich verlassen wird. Dann kann es losgehen. Die erste Frage wird gestellt. Oft reden alle durcheinander, unterbrechen sich gegenseitig, um den Moment nicht zu verpassen, sich selber in Szene zu setzen, bis der Moderator einschreitet. Manchmal redet ein Teilnehmer zu lange, dann dreht sich die Moderatorin mit ihrer Karte zu seinem/ihrem Gegenüber und stellt eine neue Frage. Das hat natürlich Einfluss auf das Thema und die Art und Weise, wie es gebändigt wird. > Das Medium wird zur Massage. Bild und Ton gehen keine richtigte Symbiose ein, sondern sie kanalisieren die Inhalte und beeinflussen das Denken der Zuschauer: aus dem Gespräch wird eine Show. der Titel dieser Veranstaltungen ist das Ehrlichste an ihr. Die Kameraführung, die unsere Augen stets dahin leitet, was man jetzt sehen sollte. Aber so ist das Fernsehen: es gibt uns immer vor, wohin wir zu gucken haben. Entweder ist das Hin- und Herwackeln mit der Kamera zu nervös oder es ist ruhiger, dann sieht man noch weniger von jeder Runde. Es gibt auch talkshows, bei denen sitzen die Gäste nebeneinander in einer Reihe, das sieht dann eher nach strenger Disziplinierung als nach einer lockeren Runde aus.

Warum braucht man Moderatoren/innen? Disziplin, Thematreue, Animation, Schlichtung, Anregung? Nichts von alledem ist bei erwachsenen Menschen, die ihr Thema beherrschen, notwendig. Die Position des/der Moderator/in dient nur ihrer und des Themas Profilierung.  Man ihre/seine Position einsparen.

Oliver Weber > Talkshows hassen Ein letztes Krisengespräch erweist sich als sehr kenntnisreich und kann die Geschichte der politischen Diskussion im Fernsehen seit ihrem Beginn bis heute präzise referieren: S. 1-44.

talkshows werden auch von der Presse als eigenständige Ereignisse wahrgenommen, und dies umsomehr, wenn sie Themen brisant verpackt ankündigen: Nicht über Flüchtlinge reden, sondern über Flüchtlinge und Kriminalität. Vgl. S. 45 – Die Folgen sind fatal. Reißersisch sind die Themen und was aufregt macht Quote, was Angst macht noch mehr, das kann die AfD auch sehr gut.

Vgl. S. 47 ff.: Das eigentliche Problem der > talkshows ist die Themenstellung, neudeutsch Agenda-Setting. Und so ist es immer im Fernsehen, alles muss eingepasst und reduziert werden, jegliche Differenzierung wird ausgeblendet. Die Redaktionen wählen aus, denken dabei an die Quote und geben vor, was diskutiert werden soll. In den Rahmen haben sich alle Gäste zu fügen und das heißt neudeutsch Framing: S. 53. Sprechen wir über Flüchtlinge: Probleme über Probleme. Und was würde passieren, wenn die gleiche Sendezeit für eine gründlich recherchierte Reportage über gelungene Integration und Bürgerengagement genutzt würde?

Die Versuchung, das Thema der > talkshows über Eingrenzung und den Horizont der eingeladenen Gäste zu steuern, ist immer da und könnte nur umgangen werden, würde man dieses Format der seichten Unterhaltung aufgeben. Viele Themen sind auf Krawall und Aufmerksamkeit aus – vgl. S. 59 f. – was funktioniert und Schule macht hat, bei der Quotenjagd à la BILD-Aufmacher keine Chance. Die Einwanderungsgeschichte der Bundesrepublik ist ein bemerkenswerte Erfolgsgeschichte, die, so könnte man den Eindruck gewinnnen, verschwiegen wird. Würden die > talkshows sie im gleichen Umfang thematisieren wie jegliche Angst vor Migranten, würden wir anders darüber diskutieren. Europa ist auch eine Erfolgsgeschichte, nicht aber für die talkshows: S. 68 f. Erfolge sind mit Lob verbunden und der passt nicht in unsere Diskurslandschaft, die kritisieren will und jede Art von Diskussion im politischen Berlin gleich als Streit deklariert. Bezüglich der Bundesbahn spricht man auch nur über verspätete Züge aber nicht über die große Mehrzahl, die pünktlich ankommt.

Wer eignet sich für talkshows als Gast? Ein Talkshowgast. Angepasst. Jemand, der die für das Format richtigen Antworten gibt. Nicht Personen sondern Rollen S. 82 ff. werden eingeladen. Récupérer, nannte Sartre das und mied es in den Medien zu erscheinen und vereinnahmt zu werden. Jeder > talkshows Gast steht unweigerlich für die Sache der > talkshows und nicht für sich. Max Stirner: ich hab mein Sach‘ auf nichts gestellt,“ würde nicht eingeladen werden. Will der Intellektuelle wirklich unabhängig sein, dürfte er sich dem starren Korsett der Talkshows nicht unterwerfen. Am schlimmsten wird es, wenn der Gast etwas sagt und der Moderator auf seinen Pappdeckel guckt und die nächste Frage präsentiert, am besten noch mit dem Satz: „Diese Antwort führt uns zur nächsten Frage.“. Hat der Moderator zugehört? Die > talkshow bevorzugt dozile Meinungsmacher und keine Experten. Wer abweicht und seine Meinung contre courant vertritt, wird nicht wieder eingeladen. Marshall McLuhman schreibt: „Der Dichter, der Künstler, der Detektiv – wer unsere Wahrnehmung schärft, richtet sich gegen unsere Gesellschaft,“ zusammen mit Quentin Fiore, > Das Medium ist die Massage, übs. v. M. Baltes, r. Höltschl, Stuttgart: Klett-Cotta 3/2014, S. 88, in diesem Falle gegen die Talkshow und das kann nciht sein.

Die AfD hat nur deswegen so viel Zulauf, weil so viele ihr mieses Spiel der Angstmache mitgespielt haben. Alice Weidel wie andere in der AFD sprechen gerne vom „Europa der Vaterländer“ und merken nicht wie sie dabei de Gaulle unterstützen: > Ein vereintes Europa – Une Europe unie – auf dem Weg zu einer Konföderation – 16. Mai 2019. Ihre Fundamentalkritik an Europa verpufft, wenn man sich das proeuropäische Engagement von de Gaulle und später auch von Mitterrand erinnert. Aber wir differenzieren schon wieder und dafür haben die talkshows keinen Platz. – Wie leicht wäre es, mehr von den Erfolgen zu reden und die Kritik der AfD verkümmern zu lassen, oder sich wirklich auf Fakten und nicht kurzfristige Eindrücke zu berufen: vgl. > Lesebericht: Stephan Detjen, Maximilian Steinbeis, Die Zauberlehrlinge. Der Streit um die Flüchtlingspolitik und der Mythos vom Rechtsbruch – 7. Mai 2019

Haben die > talkshows die Rechtspopulisten salonfähig gemacht oder zumindest dazubeigetragen? Die Frage darf gestellt werden: Dazu die Lektüre der Kapitel „Die AfD in der Diskursmaschine“ S. 95-109 und „Das Volk gegen TINA“ S. 126-134. Die AfD formuliert Forderungen und maßt sich an das Volk zu vertreten. Kritik an der AfD wird als Kritik am Volk zurückgewiesen.

Ein kleines Format, sehr gelungen. Oliver Weber erklärt ihnen in überzeugender Weise und kenntnisreich, dass Sie die > talkshows nicht mehr brauchen.

Oliver Weber
> Talkshows hassen
Ein letztes Krisengespräch
1. Aufl. 2019, 155 Seiten, Flexcover
ISBN: 978-3-608-50424-8