Neu eingetroffene Romane testen wir zu Hause oft durchs Vorlesen – so wie Gustave Flaubert seine Manuskripte Freunden zu Hause vorgelesen hat, um zu hören, wie die Sätze rollen. Wenn Sie das mit Tom Kummers Roman > Von schlechten Eltern versuchen, werden Sie merken, dass Sie vor dem Zuklappen des Buches – weil es schon spät ist – schon sehr weit gekommen sind. Kummer hat einen ganz eigenen Stil; das ist ja beinahe so, als wenn man bei ihm als Fahrgast im Fahrservice durch die dunkle Schweiz auf der Rückbank sitzt. Erst wenn man sich dort umschaut und dann beim Vorbeugen schemenhaft auf dem Armaturenbrett ein Foto entdeckt und dann einige Worte mit dem Fahrer gewechselt werden, erfährt man seine Familiengeschichte. Aber nur wenn man richtig fragt und wenn der Fahrer zu Auskünften gut aufgelegt ist. Allen erzählt er nicht alles.
Nach dem Tod seiner Frau Nina ist er in die Schweiz zurückgekehrt. Und wohnt dort wieder mit seinem 12-jährigen Sohn Vincent. Frank, ihr erster Sohn, 18, ist in Los Angeles zurückgeblieben. Tom fährt nachts und ihm gelingt es fast immer, zum Wecken von Vincent wieder zu Hause zu sein, damit er rechtzeitig auf den Weg zur Schule gebracht wird. Toms Kummer ist noch immer grenzenlos, Vincent steht für alle Familienerinnerungen, genauso wie er in gewisser Weise Tom ständig an seine Liebe zu Nina erinnert. Vincent sucht ebenfalls die Nähe zu seinem Vater und bohrt und fragt, warum er denn wieder nachts unterwegs war. Tom antwortet mit Ausreden.
Mit seinen VIP-Fahrgästen, die er durch die schweizer Dunkelheit fährt, ohne viele Fragen zu stellen, ergeben sich kurze nächtliche Gespräche; gestattet, nur wenn sie ausdrücklich gewünscht werden. Manche wollen mehr über das Foto wissen und zuweilen erzählt Tom von Nina – wieder bei Tropen aufgelegt: > > Nina & Tom -, dann bedauern seine Kunden ihren Tod und spüren Toms Trauer. Dann wechseln sie das Thema, manche merken aber doch, was Tom spürt, nämlich es ist Nina, die auch mit fährt. Die Erinnerung an sie ist für ihn ständig präsent. Ob bei den nächtlichen Autotouren oder wenn er nachts in sein Schlafzimmer kommt, Nina ist immer mit dabei. Er träumt davon, „dass Nina unter den richtigen Umständen zu uns zurückkehren wird,“ (S. 213) ein deutlicher Hinweis darauf, dass er es bedauert, dass Frank in Los Angeles zurückgeblieben ist. Der familiäre Zusammenhalt in ihrer Familie ist für Tom wichtig und Vincent sollte sich auf seinen Weg zu seinem Bruder in die USA machen. Tom ist überzeugt davon, dass ihre Begegnung beiden gut tun werde. Das Ticket ist gebucht, sie sind schon auf den Flughafen, aber der Flieger startet ohne Vincent, der es vorzieht bei seinem Vater zu bleiben.
Das Jugendamt stellt peinliche, geradezu intime Fragen, weil die Nachbarn geplaudert haben. Tom kann aber erklären, dass ihm nichts vorzuwerfen ist. Da ist einzig die omnipräsente Erinnerung an seine Frau, an Vincents Mutter, deren Verlust beide nicht verwinden können. Sie halten zusammen und Tom, mehr noch als sein Sohn, sehnt sich nach Frank. Dann ist es endlich soweit, er steigt ins Flugzeug und Vincent und Tom fahren mit dem Firmenwagen, einem 600er, krank, stellt Vincent fest, als er die digitalen Gadgets austestet, zum Flughafen nach Zürich. Tom kann seine Aufregung kaum verbergen und ahnt nicht das Drama, was auf sie zukommen wird.
Die Fahrten durch die Nacht, die immer neuen Fahrgäste, die Nähe zu Vince, die Sehnsucht nach ihrer gemeinsamen Familie, die Erinnerungen an Nina werden durch die kurzen Sätze eindrucksvoll in Szene gesetzt. Tom lebt in zwei Welten, in der einen bekommt er Aufträge von Jean-Luc, seinem Chef, in der anderen wartet Vince auf ihn. Aber Tom sucht eine Neuorientierung, er will sich etwas Neues aufbauen, hat aber noch keine rechte Perspektive, weil beide Welt nicht so recht zusammenpassen. Ihre einzige Verbindung ist Nina, wenn er sich beim Fahren seiner Erinnerung an ihr hingibt und zu Hause ist es Vincent als die leibhaftige Erinnerung an seine Liebe zu ihr. Spürt Vincent, dass die Trauer um Nina so mächtig ist? Und was weiß Tom über Frank und dessen Erinnerung an Nina?
Tom Kummer
> Von schlechten Eltern
1. Aufl. 2020, 245 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-50428-6
Tom Kummer
> Nina und Tom
Roman
1. Aufl. 2020, 256 Seiten, Taschenbuch
ISBN: 978-3-608-50453-8
Ulla Lenze »Der Empfänger«
Peter McLean »Priest of Bones«
Tom Kummer »Von schlechten Eltern«
Edgar Wolfrum »Der Aufsteiger«
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Manfred Spitzer »Musik, Meditation und Mittelmeerdiät«Als E-Books im Preis reduziert: > https://t.co/DNVOzMQKgx pic.twitter.com/reLSB4syru
— blog-klett-cotta (@KlettCottaBlog) March 23, 2020