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Lesebericht: Luisa Neubauer, Dagmar Reemtsma, Gegen die Ohnmacht. Meine Großmutter, die Politik und ich

Verfasst von Heiner Wittmann
9.11.2022

Vor rund drei Jahren ist unsere Redaktion in Berlin Luisa Neubauer begegnet: > Nachgefragt: Luisa Neubauer, Alexander Repenning, Vom Ende der Klimakrise Eine Geschichte unserer Zukunft – 4. September 2019. Bei diesem Gespräch ging es um ihr Buch, über das wir gerade auf diesem Blog geschrieben hatten: > Lesebericht: „Luisa Neubauer, die bekannteste deutsche > Klimaaktivistin, und der Soziologe Alexander Repenning entwerfen hier die Geschichte unserer Zukunft. Mittlerweile sind die Prognosen in Sachen Klima sehr genau und erschreckend. Kritisierte man bisher die Klimaforscher für überzogene Vorhersagen, wo wird jetzt allmählich klar, dass jetzt der Vorwurf an sie lauten muss, sie waren  mit ihren Prognosen bisher zu vorsichtig.“

Lesebericht: Luisa Neubauer, Dagmar Reemtsma, Gegen die Ohnmacht. Meine Großmutter, die Politik und ich

Wir sprachen über die Klimakrise und den sich abzeichnenden Point of no-return, aber eigentlich hätten wir Luisa Neubauer damals auch danach fragen müssen, wie sie selber daraufgekommen ist und wie es ihr dann auch in so beeindruckender Weise gelungen ist, mit ihrer Hartnäckigkeit sich erfolgreich in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen:

In ihrem jüngsten Buch »Gegen die Ohnmacht«, das Luisa Neubauer zusammen mit ihrer Großmutter verfasst hat, erzählt Neubauer, wie ihre Großmutter sich überall allem, was der Natur und der Umwelt schadet, mit Vehemenz, ja auch mit Empörung, entgegenstellt. Poltisches Engagement hat sie ganz offenkundig bei ihr gelernt, die allein schon wegen eines Laubbläsers sofort eine E-Mail losschickt, oder wegen der Produktionsstätte für den A 380 protestiert – in stundenlangen Gesprächen und gemeinsamen Aktionen. Generationsübergreifend, eben weil wir alle von der Klimakrise betroffen sind und sein werden.

Im Gespräch mit Jakob Thomä > Nachgefragt: Jakob Thomä, Der Kill-Score. Auf den Spuren unseres ökologischen und sozialen Fußabdrucks – 4. November 2022 wurde uns vor einigen Tagen nochmal in Erinnerung gerufen, dass das Klima-Desaster auch durch die schlechte schlechte PR vieler Klimaschützer in gewissen Sinne mit zu verantworten ist, weil komplexe Sachverhalte eben nicht sehr vereinfacht werden können und deshalb auch schwer zu erklären sind. Vielen fehlt die Vorstellungskraft, was es bedeuten könne, wenn man von einem ökologischen Fußabtritt spricht oder einigen tausenden Tonnen CO2, die niemand sieht. So schlimm wird es schon nicht werden, hört man dann und sogleich klingen die Zweifel mit an, ob die Vorhersagen sich denn überhaupt einmal bewahrheiten werden. Und in diesem Zusammenhang werden oft die Aktionen von Klima-Aktivistin angezweifelt, denn die Politik macht ja doch mit dem Kohleabbau weiter und schwächle bei den erneuerbaren Energien. Der einzelne könne ja doch nichts fürs Klima tun und dann wird noch unsere allgemeine Ohnmacht angeführt. Damit haben wir die Zielgruppe dieses Buches bestimmt.

Ihr Buch hat sogar den Titel »Gegen die Ohnmacht« und ist ein spannendes Plädoyer für das Engagement jedes Einzelnen, als das, was die Demokratie trägt. Nein, eine Aktivistin wollte ihr Großmutter nie sein, aber man müsse sogleich und immer sofort handeln, kein Brimborium“, sondern loslegen ohne viel zaudern. Später entsteht aus dieser Einstellung der Fridays-for-Future-Protest.

Die Herkunft ihrer Großmutter, die Verbindung mit der Familie Reemtsma, der Tod ihres Vaters im Konzentrationslager Stutthof zeigte Neubauer, dass man sich die Herkunft der Familie nicht aussuchen könne, wohl aber wie man ihrer Geschichte begegne. (Vgl. S. 59)

Zwischen diesen Erinnerungen an die Gespräche mit ihrer Großmutter über die Geschichte, erklärt Neubauer bei verschiedene Gelegenheiten, wie sie das Klimathema für sich entdeckt hat. Der Krieg in der Ukraine und die dadurch ausgelöste Energiekrise bestätigen nachhaltig die Gefahren der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, wodurch sich nicht nur Probleme des Klimaschutzes verschärfen, sondern weil wegen der der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen auch Bedrohungen für die Demokratie einhergehen können. (vgl. S. 73 f) Der Kampf gegen die Verschleuderung von Ressourcen und das Ansteigen der Emissionen von Treibhausgasen könne aber nur durch die Solidarität aller erkämpft werden.  Einer ihrer Lehrsätze lautet: „Resilienz zu leben heißt anzuerkennen, dass das Leben in einer Demokratie erkämpft wurde und gefährdet ist, sobald es nicht verteidigt wird.“ (S. 74)

Neubauer erinnert an einen Lehrsatz ihrer Großmutter: „Eine Haltung haben reicht nicht. Man muss auch für sie einstehen.“(S. 75) Mit 20 000 Teilnehmern hatte Neubauer gerechnet, als Fridays-for-Future für den Frieden demonstrieren wollte in Hamburg: 120 000 kamen: Sie hätten „verstanden, dass sie nicht ersetzbar sind, dass es auch jeden Einzelne:n ankommt.“ (S. 75)

Der Tod ihres Vaters erinnert Neubauer nachhaltig an die Schäden, die die Werbung, insbesondere auch der Tabakindustrie bewirken… übrigens beruhte auch der ganze Wirtschaftsboom der Bundesrepublik auf keineswegs nachhaltigem Wachstum.

Und es gab eine Epoche, als die Kinder aus dem Haus waren, da hatte die Großmutter Zeit sich zu radikalisieren, was sie auch mit Konsequenz gemacht hat: Demonstrationen und Briefe, die ganze Bandbreite des Engagements bis zum Widerstand hat sie von ihrer Großmutter gelernt. Sie hat auch von ihr gelernt, welche Irrwege der Üüermäßige Konsum gehen kann, so zum Beispiel, wenn ihre Großmutter sich über zu billige Strümpfe beklagte, weil deren Hersteller in Fernost kaum etwas vom Verkaufspreis abbekommen.

Und Neubauer hat bei ihrer Großmutter weitere Grundsätze gelernt wie: „Die gesunde, widerstandsfähige Natur ist die beste Chance darauf, die schlimmsten Klimakatastrophen zu verhindern.“ (S. 202) Und sie hat ihrer Enkeltochter beigebracht, dass Empörung nie einer Ohnmacht zu weichen hat, die Empörung ist immer stärker. Aufgeben zählt nicht. Auch wenn das Europaparlament trotz aller Demos und Gegenreden, gegen alle Vernunft feststellt, dass Erdgas und Atomkraft nachhaltig seien, sei das kein Grund für Ohnmacht oder Resignation. Solche Irrwege feuern Neubauer erst so richtig an und diese Passion, sich für den Klimaschutz einzusetzen, hat sie bei ihrer Großmutter, die jetzt 90 Jahre alt ist, gelernt.

Heiner Wittmann

Gegen die Ohnmacht

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Beteiligte Personen

© Axel Martens

Luisa Neubauer

Luisa Neubauer, geboren 1996 in Hamburg, ist eine der weltweit bekanntesten Klimaaktivistinnen. Die Geographiestudentin lebt in Göttingen und Berlin. Zul...

Luisa Neubauer, geboren 1996 in Hamburg, ist eine der weltweit bekanntesten Klimaaktivistinnen. Die Geographiestudentin lebt in Göttingen und Berlin. Zuletzt erschien von ihr und Alexander Repenning Vom Ende der Klimakrise (2019) und mit Bernd Ulrich Noch haben wir die Wahl (2021). Seit 2020 hostet sie den Klimapodcast 1,5 Grad.


© Axel Martens, Hamburg

Dagmar Reemtsma

Dagmar Reemtsma (geborene von Hänisch), ist Jahrgang 1933 und seit vielen Jahrzehnten für Umwelt, Frieden und globale Gerechtigkeit im Einsatz. Schon vor ...

Dagmar Reemtsma (geborene von Hänisch), ist Jahrgang 1933 und seit vielen Jahrzehnten für Umwelt, Frieden und globale Gerechtigkeit im Einsatz. Schon vor Jahren hielt sie Reden vor den Aktionären von Adidas und kämpfte für bessere Bezahlungen der Näherinnen in Südostasien - seit den 1980er Jahren organisiert sie Demonstrationen gegen Atom- und Kohlekraft und klärt mit der Umweltgruppe Elbvororte unermüdlich über die ökologischen Gefahren auf. Dagmar Reemtsma lebt in Hamburg. 

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