Laura Cwiertnia, ist die Tochter eines armenischen Vaters und einer deutschen Mutter. Sie stammt aus Bremen. Die stellvertretende Ressortleiterin bei der ZEIT hat jetzt mit > Auf der Straße heißen wir anders ihren ersten Roman vorgelegt.
Karla wohnt im Norden von Bremen. Sie wächst hier als Kind auf aber ihre Verwandten scheinen sich immer noch fremd zu fühlen. Ihr Vater Avi war in einer Klosterschule in Jerusalem. Die Urgroßmutter Armine auf stammt aus Istanbul. Die Herkunftsorte sind ganz unterschiedlich und prägen alle künftigen Generationen, in dem sie auch ein Teil ihrer Identität werden.
Alle Kinder der Hochhaussiedlung in Bremen-Nord wissen ganz genau, wo jede/r herkommt. Albanien, Türkei, Russland. Karla weiß, dass sie in dieses Schemata nicht reinpasst. In den 60ern kommt ihre Großmutter als Gastarbeiterin aus Istanbul nach Deutschland. Und Karla weiß auch, dass die Familie armenische Wurzeln hat. Das wird aber in der Familie nie thematisiert. Aus irgendwelchen Gründen wird darüber nie gesprochen.
Nach dem Tod der Großmutter und ihrer Beerdigung trifft sich Karla mit ihrem Vater in ihrer Wohnung. Erinnerungen werden wach. Sie verteilen einige Habseligkeiten, auf denen der Name des Empfängers klebt. Als sie die Wohnung verlassen fragt Karla ihren Vater „Fährst du mit mir nach Armenien, Papa?“ (S. 41)
Rückblende. Ein Kapitel berichtet über Karlottas Einschulung. Sie, die mit ihrer Kurzhaarfriseur auffällt. Ihre Mitschüler erzählen von ihren Ferien, sie stockt, de Lehrer rät, Du warst in Deutschland? und Nina bestätigt: „Sie kann ja nicht nach Hause fahren.“ Bremen-Nord sei ihr Zuhause.
Auf dem Flughafen, vor dem Abflug erzählt ihr Vater ihr von Lilit Kuyumcyan, der Name, den Oma auf ihre Liste gesetzt hatte.. Der Familienname sei der Nachname Karlas Urgroßmutter. So langsam kann Karla die Mosaiksteine zusammensetzen. Dann beginnt ihre Reise nach nach Armenien vor.
Neue Rückblende. Karlas Vater Avi und seine Jugendjahre in Istanbul. Später schickt ihn sein Vater nach Jerusalem in eine Internat, wo die Priester mit den Jungen Armenisch reden. Aber in Armenien war er noch nie gewesen. Er wird trotzig und schafft es, dass er wieder nach Hause, nach Istanbul fliegen darf.
Sie landen in Yerevan. Sie erkunden die Stadt und kommen schließlich in ihrer Ferienwohnung an. Der Vermieter Tigran erwartet sie dort und fragt nach dem Zweck ihrer Reise: „Wir wollen unsere Heimat sehen. Wissen Sie, ich bin auch Armenier.“ (S. 87) – Die Sprache ist auch ein Teil der Identität und Karlas Vater findet seine Wörter wieder. Er berichtet Karla von seinen drei oder vier Jahren in Jerusalem, wo er zum ersten Mal etwas von Armenien erfahren habe.
Noch ein Mosaikstein. Maryam ist die armenische Großmutter von Karla, die in den 20er Jahren mit einem Arbeitsvertrag sich auf den Weg nach Deutschland gemacht hatte. Später lernt sie dort Klaus kennen… der mit ihrer armenischen Herkunft so gar nichts anfangen kann.
Karla und ihr Vater erkunden ihr Land, die Erinnerungen überwiegen. Die Orte erinnern an die Herkunft ihrer Vorfahren und beide erleben das Gefühl, hier nicht so nicht so richtig dazuzugehören. Ihre nächste Station sind die zwölf Steinblöcke des Denkmals, das an den Völkermord an den Armeniern erinnert, der Zizernakaberd. Karla erinnert sich, wie sie in der 7. Klasse vom Völkermord an ihren Vorfahren erfahren hat: Jungtürken hätten im Osmanischen Reich bis zu 1,5 Millionen Armenier ermordet. (vgl. S. 188)
Wie geht man mit dieser Geschichte um? Karlas und Avis Reise wirkt wie eine Suche nach einer verlorenen Zeit, die nicht wiedergefunden werden kann. Aber schließlich finden sie das Haus von Meline wieder in dem Lilit gewohnt hat und Karla legt ihren Armreif mit dem fünf goldenen Plättchen an winzigen Ösen, an den, den Meline von Lilit bekommen hat. Eine Detail, aber es weist daraufhin, dass die Erinnerungen auch durch die grausamen Ereignisse nicht auszulöschen sind.
Identitäten kann man nicht auslöschen, man kann sie beschädigen, aber sie leben in der Literatur weiter und gerade die persönliche Geschichte von Avi und Karla liest sich wie ein stumme aber umso wirkungsvollere Anklage.
Laura Cwiertnia
> Auf der Straße heißen wir anders.Roman
Klett-Cotta
1. Auflage 2022, 240 Seiten, Gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-98198-8