Aktualisiert, 26.9.:
Michal Hvorecky hat mal alles aufgeschrieben, was die sozialen Netzwerke für uns heute schon bereithalten: > Troll. Roman. Das ist nicht unbedingt ein Science-Fiction-Buch, weil fast alle Zutaten schon vorhanden sind. Und man braucht auch nicht mal mehr neue Ideen, man muss nur geschickt alles mehr oder weniger virtuell schon Vorhandene zusammenbinden, um uns die Folgen der schönen bunten Internetwelt mit ihren omnipräsenten Verführungen glasklar vor Augen zu stellen. Nichts ist an den > Sozialen Netzwerken sozial, sie sind und haben alles andere nur nichts soziales.
> Nachgefragt: Michal Hvorecky
Alle Online-Gemeinschaftsdienste, die das Mitmachen in der Web 2.0-Welt, verlangen, öffnen natürlich allen, die nur Werbung im Kopf haben, Tür und Tor. Schaut man auf FB, gehen Werbebotschaften und Meldungen der Lieben, oft nur virtuellen Freunde, ineinander über, so dass man beim Öffnen von FB auf mindestens 90 % der Seite Werbung sieht. Und dazu kommt noch Werbetracking von Internetangeboten, die man vorher in Shops besucht hat, Drängeln auf der Autobahn ist genauso nervig. Aber es bleibt nicht nur bei Werbebotschaften, Aufmerksamkeit wird uns abverlangt, mehr oder weniger unbewusst, schielen wir auf alles, was uns interessiert, unser Unterbewusstsein freut sich über vertraute Nachrichten, wie gut, dass FB uns immer genauer kennt und uns keine unnötige Werbung sondern nützliche Botschaften präsentiert.
Früher, als es noch Bücher gab, glaubte man rasch dem Gedruckten, heute glaubt man schnell dem Bildschirm, weil vieles uns ja dort schon so vertraut ist und jede neue Meldung, die unseren Horizont erweitert, ja so willkommen ist. Grenzenlose Kontakte, die Zahl der virtuellen Freunde werden immer größer, gezwitschert wird an ein Gefolge von 2000 bis 4000, Kommunikation total, man ist ständig online, immer im Kontakt mit allen : Manfred Spitzer hat dazu auch einiges zu sagen > Die Smartphone-Epidemie. Gefahren für Gesundheit, Bildung und Gesellschaft. Nicht nur wir bleiben dabei auf der Strecke, auch die Unterscheidung zwischen Falsch und Wahr wird nivelliert, die Interpretationen, Bewertungen, die Maßstäbe, die Differenzierungen werden online eingeebnet. Es bleibt die Onlineexistenz der Meldung, so wie beim Gedruckten sie wahr und richtig erscheint, wird die Prüfung der schönen bunten Onlinewelt immer mehr vernachlässigt. So z. B. auf oder in Wikipedia, wo immer noch Unfug steht > Albert Camus et Wikipédia – 13. Oktober 2008 steht und die > Kollektive Intelligenz ständig ihre natürlichen Grenzen unter Beweis stellt. Die Verführung ist groß, zu eigenen Zwecken, gar aus ideologischen Gründen, aus Machtinteressen, aufgrund fieser Anwandlungen welcher Couleur auch immer, falsche Behauptungen ins Netz zu setzen.
Hier kommt der Troll ins Spiel, eine Sammelbezeichnung für alle, die sich nicht an die mehr oder weniger ungeschriebenen Regeln im Netz halten wollen oder sie bewusst für sich herumdrehen, die die Aufmerksamkeit auf ihr Tun und Treiben ziehen wollen, und die immer trolliger werden, wenn die Netzgemeinde, ihre dummen Erzählungen und Behauptungen teilt und dadurch als wahr weiterverbreitet. Wohlangemerkt, die vielen User, Zwitscherer, Followers und Blogger, alle die, die auf seine dummen Sprüche hereinfallen und sie für bare Münze nehmen, erschaffen den Troll.
In der Politik nennt man das manchmal noch verharmlosend Populismus, es wird etwas behauptet, das sogleich kritisiert wird, um dann eine einfache Lösung anzubieten: „Wir können gar nicht alle aufnehmen, [alle nicken – auch wenn es darum gar nicht geht, oder nur 10 an der Grenze stehen] also muss man harte Maßnahmen ergreifen, um die Zuwanderung zu beschränken [wieder nicken alle]: > Nachgefragt: Volker Weiß, Die autoritäre Revolte – 27. März 2017.
Auch im TV: > „Troll“ von Michal Hvorecký – ttt – titel, thesen, temperamente – ARD
Klappentext: „Osteuropa in naher Zukunft. Ein Heer aus Trollen beherrscht das Internet, kommentiert und hetzt. Zwei Freunde entwickeln immer stärkere Zweifel und beschließen, das System von innen heraus zu stören. Dabei geraten sie selbst in die Unkontrollierbarkeit der Netzwelt – und an die Grenzen ihres gegenseitigen Vertrauens.“ Damit ist der Inhalt präzise umschrieben.
Der Erzähler berichtet von seinem Rausch als Troll, von seiner Karriere beim Trollen, lässt uns Böses ahnen, was da auf uns zukommt, oder wo wir schon mitten drinstecken: Wieviele von unseren 2300 Facebook-Freunden existieren wirklich? Wieviele Accounts der sozialen Netzwerke, die uns umgeben, existieren nur in der Phantasie von Trollen?
Jon Ronson
> In Shitgewittern
Wie wir uns das Leben zur Hölle machen
Aus dem Englischen von Johann Christoph Maass (Orig.: So You’ve Been Publicly Shamed)
1. Aufl. 2016, 330 Seiten, Klappenbroschur
ISBN: 978-3-608-50235-0
Unser Troll erzählt seine Lebensgeschichte, seine Kindheit, seine Krankheit, seinen Aufenthalt in der Klinik, das System der Diktatur um ihn herum, das im Verlauf des Romans durch die Trollagentur getoppt und überholt wird. Der Erzählertroll lernt Johanna kennen und begleitet sie auf ihrer Entwöhnungskur. Sie hängen zusammen und suchen Arbeit und machen zur Bedingung, nur zusammen eingestellt zu werden. Im Studium lernt unser künftiger Troll viel zu schreiben. Praktika bei Chatforen und das Schreiben für Werbekunden halten ihn über Wasser > Essai. Lernen und Studieren mit dem Internet – 30. September 2016. Irgendwann gehen die Klickzahlen zurück und beide schauen sich nach einem neuen Job um.
Jetzt folgt im zweiten Teil eine kleine Phänomenologie des Trollens. Bester Troll in der Firma ist Askold, der 200-300 Profile verwaltet, S. 110: „jedes Profil schafft die Illusion einer tatsächlichen Person,“ S. 112 f. sagt er. Irgendwie denke ich an die anonymen Autoren, oder wie soll man sie sonst nennen, die in Wikipedia löschen und korrigieren – manchmal sogar richtig – , die man aber nicht kennt, oder an Zwitscherer, die mit geschlossenem Visier ihre Meinung herausposaunen. Wer sich wehrt, ist natürlich ein Verräter oder Lügner (vgl. S. 150 !) und wird sogleich in der Online-Welt so gebrandmarkt. Fake-News sind billiger als zu dementieren, vgl. S. 118. Unser Erzähler ist angekommen: „Inzwischen ist es normal geworden, dass ich auch nach der Arbeitszeit als Troll agiere.“ S. 132. Streichen Sie ein paar Sätze an und Sie haben danach ein Trollhandbuch in der Hand. Und das Bemerkenswerte daran ist, dass keine der miesen Charaktereigenschaften eines Trolls zukunftsmäßig von Michal Hvorecky erfunden ist. Alles ist schon dagewesen, man packt alles zusammen in einen Roman und lässt den Leser sich gruseln. Trolle haben „ein Faible für den Dreisatz Bösewicht – Bild – Link“ S. 150, alles zusammen unterstreicht den Wahrheitsgehalt der Lüge.
Was lange währt, geht nicht gut, alte Bauernweisheit, das Lügen, Täuschen und Verstecken kommt irgendwann an seine Grenzen und schon ist jemand da, der es noch besser kann und der Schwindel knallt auseinander. Und so kommt es auch hier und das ist vielleicht der einzige Trost, dass die Trollwelt an ihren eignen Dummheiten (Ähnlichkeiten mit politischen Gruppierungen unserer Tage wäre total zufällig und bestimmt nicht beabsichtigt,) erstickt, weil die Suche nach der Wahrheit sich doch immer wieder irgendwie durchsetzt, aber nicht aufgrund der Kollektiven Intelligenz, das wußten auch die Breiköche schon, sondern aufgrund von Mut und Einsatz oft Einzelner.
Wie gesagt, unsere Redaktion ist auf das Gespräch mit Michal Hvorecky sehr gespannt: Nachgefragt.
Michal Hvorecky,
> > Troll. Roman
Aus dem Slowakischen von Mirko Kraetsch
(Orig.: Troll)
1. Aufl. 2018, 215 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-50411-8
Michal Hvorecky
> Tod auf der Donau
Roman
Aus dem Slowakischen von Michael Stavari? (Orig.: Dunai v Americe)
1. Aufl. 2012, 272 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-50115-5
Michal Hvorecky
> Tod auf der Donau
Roman
Aus dem Slowakischen von Michael Stavari? (Orig.: Dunai v Americe)
1. Aufl. 2012, 272 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-608-50115-5
Dazu hieß es auf unserem Blog: „Der Lesebericht zu Michal Hvoreckys Roman > Tod auf der Donau ist auf diesem Blog schon erschienen. Eine ganzes Kreuzschiff voll amerikanischer Touristen ins Donaudelta begleiten, das hat Martin Roy sich vorgenommen. Zugegeben, das wäre sehr verführerisch, diese Reise baldmöglichst auch einmal zu machen. Roys Reiseführung, sein profundes historisches Wissen machen echt Lust auf diese Reise,..“
>Michal Hvroecky
> EskortaEskorta. Roman
Aus dem Slowakischen von Mirko Kraetsch (Orig.: Eskorta)
Auflage: 1. Aufl. 2009,
Ausstattung: gebunden mit Schutzumschlag
250 Seiten, ISBN: 978-3-608-50102-5